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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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sollten schon mal mit dem Vieh vorausgehen, er erledige die Sache. Sie haben zwar alle möglichen Befürchtungen, sind jedoch froh, damit nichts mehr zu tun zu haben. Als sie auf der unteren Stafel angelangt sind, hören sie von der Alp her einen entsetzlichen Schrei. Sie trauen sich aber nicht umzukehren. Einer wagt sich dann doch so weit in die Nähe, dass er sieht, wie das Sennentuntschi die Haut des Älplers zum Trocknen auf das Dach der Hütte spannt.«
    »Gibt es heute noch solche Geschichten?«, fragte Heinrich Müller.
    »Darüber spricht der Senn nicht gern«, entgegnete Gerber.
    »Wenn du einen Sommer lang allein auf der Alp sitzt, mit all den Geräuschen Tag und Nacht«, erklärte Sämu, »von denen du nicht weißt, stammen sie vom Vieh, vom alten Holz, vom Wind, von den Felsen, vom Wasser oder doch vom Wilden Volk, das in seinen unermüdlichen Nachtzügen an der Türe um Einlass klopft, dann …«, er stockte einen Augenblick, »… dann würdest auch du an Dinge glauben, die nicht von dieser Welt sind.«

    »Und? Hast du etwas gewonnen?«, fragte der Bauer aus Sigriswil und erklärte: »Sämu macht bei allen Wettbewerben mit.«
    »Ja«, sagte der Angesprochene zur Überraschung der Anwesenden. »Letzthin habe ich bei einem Kreuzworträtsel den zweiten Preis geholt: ein Wasserbett mit Wärmesystem. Wert 1.800 Franken. Es soll in den nächsten Tagen geliefert werden.«
    Martin Gerber war verblüfft. »Du hast doch gar keinen Strom hier. Wenn der Herbst kalt wird, gefriert das Wasser im Bett. Dann brauchst du mehr als eine Socke.«
    »Oder eine Frau«, schlug Heinrich vor.
    »Du hast davon gehört?«, fragte der Senn überrascht. »Von der Toten im Seefeld? Die Frau wollte zu mir.«
    Die Überraschung war nun wirklich gelungen.
    »Warum das denn?«, fragte Gerber.
    »Nun«, der Senn überlegte und fuhr dann fort: »Sie ist schon einmal hier gewesen. Etwa vor zwei Wochen. Sie hat sich zwar nicht vorgestellt, wollte aber alles über die Bergli im Justistal wissen. Ich hab schon gemerkt, dass sie aus der Stadt gekommen ist, und hab sie ein wenig verblüffen wollen. Ich hab gesagt: ›Alles, was ihr in der Stadt in einem Bett macht, mach ich im Heu. Schlafen, träumen, onanieren.‹«
    » So hast du das gesagt?«, wunderte sich Martin.
    »Ja, und dann hab ich noch gesagt, dass sich das nun alles ändert. Wegen dem Wasserbett. Da wollte sie wiederkommen und sich das ansehen. Weshalb sonst wäre sie durchs Seefeld gewandert? Sie wollte bestimmt von Habkern über Oberberg und Chumeli hier runterkommen, damit sie in Sigriswil nicht gesehen wird.«
    »Da gäb es aber den bequemeren Weg über Beatenberg und durchs Tal bis zu dir«, sagte Gerber, »notfalls mit dem Auto, dann erkennt niemand, wer drin sitzt.«
    »Dann wär’s aber keine Überraschung gewesen«, entgegnete Sämu.
    Der Bauer schüttelte den Kopf.
    Dann stand der Senn auf und gab Nicole und Heinrich ein Zeichen, mitzukommen. Er führte sie hinter die Hütte zum Schweinekoben und zeigte stolz auf die verdreckten, aber offensichtlich quietschfidelen Tiere in der sumpfigen Erde.
    »Keine Angst, am Abend, wenn die Wanderer alle wieder unten sind, lasse ich sie raus auf die Weide. Dann solltet ihr mal sehen, wie sie rennen und spielen. Besseres Fleisch als von diesen Alpsäuen könnt ihr nicht kriegen. Viel Bewegung, gesundes Futter, Molke, bis sie satt sind. Ein Herrenleben.«
    In diesem Augenblick knallte etwas unheimlich laut durchs Tal, waberte als donnerndes Echo zwischen den Felswänden hin und her. Die Schweine flüchteten in den Stall, Sämu schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als ob der Berg über ihm einstürzen würde, Nicole und Heinrich suchten das Gelände ab, Martin kam um die Ecke gestürzt. Dann zeigte Sämu hinter seinem Rücken nach oben und sagte: »Lusbüel!«
    Und wirklich war 200 Meter über Hintersberg eine Stichflamme zu sehen, die schnell wieder in sich zusammenfiel und von einer brandig schwarzen Rauchwolke abgelöst wurde.

    »So weit hat es ja kommen müssen«, sagte Wildberger Sämu eins übers andere Mal, als sie den schmalen Waldweg hochstürmten, so schnell es eben ging. Martin Gerber war bedeutend besser zu Fuß als die anderen und kam eben bei der Alphütte Lusbüel an, als sich der Rauch langsam wie ein Teppich aufs Gras senkte.
    Hustend und leicht röchelnd trat eine geschwärzte Gestalt aus dem Häuschen und sagte: »Das nächste Mal kommst du mit der Transportseilbahn.«
    Dann sackte der Mensch auf dem Boden

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