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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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zusammen.
    Als Sämu, Heinrich und Nicole ein paar Minuten später aus dem Wald auf die Wiese traten, war der Verursacher der Explosion bereits wieder munter, ja die neu Angekommenen röchelten vernehmlich stärker.
    »Kohler Andreas«, stellte er sich den beiden Städtern vor und klopfte sich den Staub aus dem hellblauen Bauernhemd, über das Hosenträger gespannt waren, damit die Beinkleider nicht an der schmächtigen Gestalt herunterrutschten. Ein ehemals weißer Vollbart, Haare von undefinierbarer Farbe, eine knollige Nase und tief liegende Augen. Auf dem Kopf saß ein gräulicher, speckiger Filzhut, den er nicht einmal zum Essen auszog. Einmal im Jahr spendierte ihm das Schweizerische Serum- und Impfinstitut einen neuen im Austausch gegen den alten. Den setzten sie in Nährlösung und besaßen die schönsten Pilz-, Bakterien- und Virenkulturen.
    Er versuchte, seine Pfeife anzuzünden, die er eben mit Tabak gestopft hatte.
    »Bist du sicher«, fragte Martin Gerber, »dass du weiter mit dem Feuer spielen willst?«
    Der Angesprochene brummte missmutig. »Die Arbeit eines ganzen Monats futsch.«
    »Was haben Sie denn gemacht?«, wollte Nicole wissen, die sich nicht traute, den drahtigen alten Mann zu duzen.
    »Ich glaube, es hat den Fernseher verjagt«, sagte er dann.
    »Fernseher?«, zweifelte Heinrich. »Wo kommt denn der Strom her?«

    »Der Apparat läuft mit Batterien«, sagte Andreas Kohler, ohne zu überzeugen. Er ertrug die zunehmende Stille im Alter nur noch schwer. Er gehörte zur Generation der ersten Fernsehkonsumenten, als die Welt noch in Schwarz-Weiß in die Stuben flimmerte, und war es gewöhnt, die Nachrichtensprecher zu grüßen. Mit den dauernden Personalwechseln hatte er in letzter Zeit jedoch seine liebe Mühe. Dennoch erzählte er jetzt der neuen Sprecherin alles, was er von den Ereignissen des jeweiligen Tages hatte in Erfahrung bringen können. Es war nicht viel, aber es erleichterte seine Seele. In den Nachrichten kam dann allerdings nichts davon. Auch in der Spätausgabe kein Wort. Kohler war jedes Mal maßlos enttäuscht.
    »Schauen wir uns die Bescherung an«, meinte Martin.
    »Da gibt’s nichts zu sehen«, wehrte sich der Alte.
    »Ist denn gar nichts übrig geblieben?«, fragte Sämu und leckte sich die Lippen.
    »Na ja, müsste vielleicht noch was da sein, im hinteren Raum. Ich schau mal nach.«
    »Wir kommen alle mit«, beschloss Martin Gerber, »vielleicht kracht die Hütte ja gleich zusammen.«
    Andreas schaute skeptisch auf die Städter und sagte: »Ein paar Schindeln müsste man ersetzen, dann hält sie mindestens bis zum ersten Schnee durch.«
    »Die beiden sind auf unserer Seite«, sagte Martin.
    »Auf deiner vielleicht. Das sind bestimmt Vertreter des Naturparks Thunersee-Hohgant . So sehen sie jedenfalls aus.«
    »Nein«, sagte Gerber, »es sind Detektive aus Bern, die die beiden Morde aufklären sollen.«
    »Morde?«, meinte Andreas. »Wer redet denn von Morden? Ich habe gedacht, die Leute seien gestürzt.«
    »Mit einer Drahtschlinge um den Hals«, murrte Nicole, »und einer Kugel zwischen den Rippen.«
    »Je nun. Dann kommt halt mit«, seufzte Kohler.
    Es stank erbärmlich nach ranzigem Käse vom vorletzten Jahr, nach vollgepissten Strohmatratzen, nach den Fürzen der Rinder, die bei Regen hier unterstanden, nach verrotteten Kartoffeln, nach Moschus, nach ungewaschenen Achselhaaren, nach dem Schweiß nächtlicher Alpträume, nach der sonnengegerbten Haut des letzten Senns, den das Sennentuntschi auf das Dach genagelt hatte, nach wild wuchernder Hefe; und durch all diese üblen Dünste hindurch drang aus dem düstersten Winkel ein feiner, beim Näherkommen immer kräftigerer Geruch nach Enzian, nach destilliertem Enzian, um genau zu sein.
    Langsam traten die wenigen Gegenstände aus dem Dunkel. Mitten im Raum lagen die Ziegelsteine, in deren Mitte die Feuerstelle gewesen war. Darum herum verteilte sich Metall: ein Kessel, diverse Rohre, ein verbogener Trichter. Daneben lagen umgekippte Flaschen. Langsam dämmerte es Heinrich Müller, was er vor sich hatte: Die Hütte eines Schwarzbrenners.
    »Jetzt mach schon«, drängte Sämu.
    Kohler trottete in den kleineren hinteren Raum, wo neben einem einfachen Bettgestell und einigen Kleiderhaken in der Wand wirklich ein Fernsehapparat und ein schräges Gestell voller Flaschen standen. Daraus nahm er eine, kam zurück, stellte ein paar Zinnbecher auf einen Tisch, der wundersamerweise stehen geblieben war, und schenkte ein. Nun

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