Feuerwasser
eroberte der Enzianduft vollends die Alphütte, und man vergaß für einen Augenblick das Loch im Dach, wo wohl der Rauchabzug gewesen war.
Andreas aber ließ alles mit säuerlicher Miene über sich ergehen, leckte sich die nikotingebräunten Lippen und rülpste nach dem ersten Glas, als ob das Echo einen Namen brauchte. Dann erklärte er: »Die Kohle war feucht und staubig. Da hab ich wohl zu viel Benzin darübergeschüttet und zu lange gewartet. Als ich das Streichholz anzündete, gab’s einen Feuerball und jede Menge Staub und Lärm.«
»Der Sauerstoff ist von oben durch die Rauchluke gekommen und das Feuer auf demselben Weg verpufft«, sagte Müller. »Das war so was wie eine Rauchgasexplosion. Der Benzindampf mischt sich mit dem Wasser aus der feuchten Kohle, was das Volumen der Gase massiv erhöht, und wenn dann Feuer und Sauerstoff dazukommen … Du kannst von Glück reden, dass du noch lebst.«
»Unkraut vergeht nicht«, meinte Kohler bloß und nahm den nächsten Schluck.
»Wo hattest du denn die feuchte Kohle her?«, fragte Gerber.
»Aus dem alten Schacht oberhalb von Beatenberg. Unter dem Niederhorn hat man jahrelang ein Kohleflöz ausgebeutet, aber schon vor dem Weltkrieg damit aufgehört, denn die Kohle war von bescheidener Qualität, der Fundort zu abgelegen und die Menge zu gering. Aber für meine Küche reicht es allemal.«
»Du willst sagen, du bist in die alten Schächte runtergestiegen und hast für dich ein bisschen Kohle geschlagen?«, fragte Sämu.
»Ja, warum denn nicht. Gehört ja keinem.«
»Kein Wunder, dass die feucht ist.«
Heinrich Müller erinnerte sich an eine Empfehlung aus der Broschüre »Wie werde ich Detektiv«, die bei einer Zeugenbefragung einen Ort anpries, an dem sich der Interviewte sicher fühlte: »Am ehesten ist dies in der eigenen Wohnung gewährleistet, nicht unbedingt im Wohnzimmer, sondern bei Arbeiterfamilien zum Beispiel in der Wohnküche, wo ohnehin der größte Teil des Alltags verbracht wird. Nicht selten werden im Verlauf des Gespräches Kaffee und Kuchen angeboten oder auch Alkoholisches, ein deutlicher Hinweis darauf, dass ein Interview nicht notwendig als übergroße Belastung oder als unzumutbares Eindringen aufgefasst wird.«
Heinrich musste lachen. Alle schauten ihn erwartungsvoll an.
»Was ist eigentlich der Reiz des Schwarzbrennens?«, fragte er Andreas. »Heute kann man doch problemlos eine Lizenz bekommen.«
»Du kriegst vielleicht die Genehmigung zum Brennen«, gab Kohler zur Antwort, »aber leider nicht die zum Ausgraben von Enzianwurzeln.«
Damit war auch das geklärt.
»Ist das denn nicht gefährlich?«, fragte Nicole und schien die Explosion bereits vergessen zu haben. »Ich meine, man liest immer wieder von indischen Hochzeiten, bei denen die Leute zu Dutzenden erblinden, weil sie selbst gebrannten Schnaps getrunken haben.«
»Mädchen«, sagte Andreas, »wenn du unter Zeitdruck stehst oder keine Geduld hast, den Vorbrand mitverwendest oder bei zu tiefen Temperaturen nur einmal destillierst, dann ist Methanol drin. Da ist Erblinden noch etwas vom Angenehmeren, was dir passieren kann. Du musst den Stoff ein zweites, vielleicht ein drittes Mal mit genügend Hitze destillieren. Dann wird das Produkt immer besser. Und glaub mir: Ich hatte genug Zeit und Geduld.«
»Und der Stausee?«, fragte Heinrich.
»Den erlebe ich nicht mehr«, ereiferte sich Andreas. »Zuerst wollen sie einen Naturpark, dann einen Stausee, dann ein Alpen-Disneyland. Was kommt als Nächstes?«
»Mit dem Schnapsbrennen allerdings wär’s vorbei«, meinte Sämu, »und mit der Alpwirtschaft auch.«
»Kuhficker!«, spie Kohler aus.
»Was sagst du?«, ereiferte sich Sämu, und das Ganze schien in einen Streit auszuarten.
»Kuhficker«, sag ich. »Das riefen die Deutschen 1499 den Eidgenossen im Schwabenkrieg hinterher. Die Großbetriebe, die hier investieren wollen, werden doch alle vom Ausland gesteuert.« Er verstummte, ergänzte aber: »Die Streithaufen haben damals umgedreht und alle Burgen niedergebrannt, von denen man sie beschimpft hatte. Es braucht neue Eidgenossen in diesem Land!«
»Mir scheint«, erklärte Heinrich Müller, »den Gegnern gehen die Argumente aus.«
Die Alpendohlen zogen ihre ruhigen Flugbahnen am Himmel und krächzten über dem Loch im Dach, weil sie vermuteten, dass es etwas zu holen gäbe.
»Ich bin vor ein paar Wochen einem nachgestiegen, der hat präzis so ausgesehen wie unser Dorfgewaltiger. Er ist vom Gemmenalphorn hergekommen«,
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