Feuerwasser
Gläsern.«
»Blödsinn«, erwiderte Pascale und wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund. »Gib mir was zu trinken. Aber etwas Wasserfreies.«
»Schwierig«, sagte Leonie und griff nach einem klaren Schnaps, der sich als Holundergeist herausstellte und Pascale zu heftigem Husten veranlasste.
»Du wolltest doch was ganz ohne Wasser«, stellte die Barista fest.
Cäsar lachte sie aus, dann beugte er sich zu Bernhard Spring hinunter. »Wir haben etwas für dein Kriminalmuseum«, sagte er geheimnisvoll und steckte dem Störfahnder eine quadratische Hülle zu. »Schieb es mal, für alle, die nicht dabei gewesen sind, in den DVD-Player und stell den Fernseher auf größte Lautstärke.«
Leonie löschte das Licht, und alle warteten gebannt auf die Vorführung, die mit einem undefinierbaren Grollen und einem mächtigen Rülpsen begann. Dann preschte ein Feuerball aus einer Felswand und wollte den Zuschauern direkt ins Gesicht springen.
Sonntag, 28. September 2008
Heinrich Müller war noch ein letztes Mal in die Berge gestiegen, hatte den umgekehrten Weg genommen, auf dem der Schwarzbrenner zu Tode gekommen war, von Sigriswil über die Obere Zettenalp hinauf zum Sigriswilgrat. Aus dem kühlen Morgen war er hinein in die spätsommerliche Septembersonne gewandert, hatte das Kribbeln verspürt, das ihn in steilen Bergflanken immer befiel, die Seufzer des steilen Aufstiegs, die Erleichterung kurz vor dem Gipfel und das Glücksgefühl in der Höhe, wenn der Horizont unendlich wird.
Er dachte zurück an die vergangenen Ermittlungen, an den Erfolg, der kein ungetrübter geblieben war, an die privaten Wirrnisse, denn er wusste nicht mehr, wie viel Liebe er noch für Leonie übrig hatte (und sie für ihn). Und nach all diesen Reflexionen gönnte er sich einen Schluck Enzian, den er aus den Beständen von Andreas Kohler abgezweigt hatte und in einem Flachmann bei sich trug. Erholt von den Anstrengungen des Aufstiegs machte er sich an den Rückweg über die Schäferhütte. Keinem Menschen war er begegnet, obwohl der Tag wie geschaffen für eine Bergwanderung war. Es ging steil hinunter, vorbei an dürren Grasnarben, vertrockneten Sommerblumen, struppigen Alpenrosensträuchern und absterbenden Gewächsen, von denen er noch nie etwas gehört hatte, selbst wenn ihm jemand ihren Namen genannt hätte.
Wenn er schon bei der Wunschform blieb, hätte er liebend gern echte Felszeichnungen entdeckt. Aber dafür war der Weg, der doch oft begangen wurde, wohl nicht geeignet. Und bis jemand mit ihm in den weglosen Felsabstürzen herumkletterte, wenn das einzige Ziel das Aufspüren von prähistorischen Überbleibseln war, würde es vielleicht noch ein Jahr dauern.
Er folgte dem sich steil abwärts windenden Pfad und erreichte einen relativ flachen Kiesweg, von wo er das Justistal bereits in seiner ganzen Länge erblickte. Plötzlich rutschte sein linkes Bein weg, ohne dass ihm bewusst geworden wäre, warum. Und noch bevor er auf den Hintern fiel, war ihm klar, dass der Knochen oberhalb des Schuhrands gebrochen war. Der Fuß baumelte kraftlos hin und her, aber Heinrich Müller verspürte keinen Schmerz. Schien- und Wadenbein gebrochen, würde man ihm später sagen, aber Bänder und Gelenke heil geblieben. Sofortige Operation, eine Platte verschraubt mit dem Schienbein, wochenlanges Gehen an Stöcken.
Vorerst aber hieß es, kühl und überlegt zu handeln. Aber es war eigentlich nicht Heinrich Müller, der etwas tat. Es reagierte eine Instanz in ihm, die mit kühler Gelassenheit alle Vorgänge registrierte. Müller rief sofort um Hilfe, rief »Bein gebrochen« und »REGA«. Das war auch schon alles, was es zu sagen gab. Denn von unten sah er zwei junge Leute heraufsteigen, die trotz des bereits späten Nachmittags noch auf den Berg wollten. Sie beschleunigten ihren Schritt, erreichten den Gestürzten, alle drei zückten ihre Handys und stellten fest, dass sie sich in einem Funkloch befanden. Wie konnte es anders sein!
Der Unbekannte stieg hinauf zum nächsten Felsvorsprung, und Müller wurde seine absolute Hilflosigkeit für einen sich in die Länge ziehenden Augenblick bewusst. Er hätte unter anderen Umständen tagelang hier liegen können, ohne Chance, sich irgendwohin zu bewegen und im menschenleeren Tal Hilfe zu finden. Vielleicht hätte ihn eine befreiende Bewusstlosigkeit aus dem Alptraum gerettet.
Da hörte Heinrich bereits die Rotoren des Helikopters, der einen Moment lang weiter unten kreiste, um bei einer zweiten Runde
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