Feuerwogen
guten, waren alle ab fünf Uhr morgens auf dem Wasser. Jetzt war es nach zehn.
»Nein«, räumte er ein.
Sie stemmte die Hände in die Hüften und wartete.
»Bergungsarbeiten aller Art«, setzte er schließlich hinzu.
Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. »Du meinst: gesunkene Schiffe? So was wie die
Titanic
?«
»Was im Meer liegt, gehört dem Meer.«
»Ich habe mir sagen lassen, dass es der Regierung gehört.«
Er zuckte mit den Schultern. »Die meisten Expeditionen werden von privaten Tauchern durchgeführt.«
»Grabräubern.«
Die obere Reihe seiner Zähne wurde bei seinem Lächeln sichtbar. »Schatzsucher.«
Nick streckte seinen Kopf unter dem Tisch hervor. »Haben Sie schon mal einen Schatz gefunden?«
Er saß im Restaurant fest, zu Hausarrest verdonnert, bis Reginas Schicht um drei endete. Antonia fand, dass Regina überreagierte, aber das war ihr egal. Sie hatte genug Probleme, auch ohne sich zehnmal am Tag fragen zu müssen, wo Nick schon wieder steckte.
Dylan griff in seine Tasche und zog eine Münze heraus. Regina sah das Blitzen, als er sie ihrem Sohn zuschnippte.
»Wow.« Nicks Augen weiteten sich, während er die Münze in seiner Hand drehte und wendete. »Ist die echt?«
Dylan nickte. »Ein Liberty-Head-Silberdollar.«
»Cool.«
»Behalt ihn.«
»Nein«, sagte Regina.
»Es ist doch nur ein Dollar«, maulte Nick.
»Und nicht einmal in tadellosem Zustand«, ergänzte Dylan.
»Es ist mir egal, in welchem Zustand er ist. Nick nimmt von Fremden keine Geschenke an.«
Nick stülpte die Unterlippe vor. »Aber …«
Sie durchbohrte ihn mit ihrem »Ich meine es ernst, Nicky«-Blick. Sie wollte nicht, dass ihr Sohn diesen Kerl romantisch verklärte. Auch wenn Dylan tatsächlich ein wenig wie ein Pirat aussah, mit seinem langen dunklen Haar und den sexy Bartstoppeln …
Sie nahm sich zusammen. Ebenso wenig würde
sie
ihn romantisch verklären. Er war nichts weiter als ein Junge von der Insel, der fortgegangen war, nicht anders und selbstverständlich nicht besser als alle Männer, die sie über die Jahre in Betracht gezogen und wieder verworfen hatte.
Männer, mit denen sie keinen Sex gehabt hatte.
Mist.
»Tut mir leid, Kleiner«, bedauerte Dylan.
»Ja.« Nick ließ die Münze in Dylans Handfläche fallen. »Mir auch.«
Regina seufzte, während ihr Sohn in die Küche stapfte.
Dylan drehte sich Richtung Tür und streckte die Beine in den Raum. Lange Beine, bemerkte Regina. Keine Socken.
»Wer ist das?«, fragte er.
Regina riss sich los und folgte seinem Blick zum Fenster hinaus. Jericho wartete auf dem Bürgersteig. »Jericho Jones.«
Sie bedachte ihn mit dem Insulanergruß – erhobene Finger, unmerkliches Nicken. Der Veteran schulterte seinen Rucksack und verschwand um die Ecke des Gebäudes.
»Und was will er?«
»Nichts. Ein Sandwich.«
Er kam einmal am Tag oder alle zwei Tage vorbei. Sie schmuggelte Essen für ihn aus der Hintertür, wenn Antonia gerade nicht hinsah.
»Ich meinte: hier auf der Insel.«
Regina zuckte mit den Schultern. »Vielleicht kann er sich die Fähre aufs Festland nicht leisten.«
»Hat er dir das gesagt?«
»Ich habe ihn nicht gefragt. Es ist der Job deines Bruders, die Leute zu verhören. Ich gebe ihnen nur zu essen.«
Dylans Blick saugte sich an ihrem Gesicht fest. »Du bist sehr freundlich«, sagte er fast anklagend.
»Eigentlich nicht. Die Art, wie unser Land mit seinen heimkehrenden Soldaten umspringt, kotzt mich an. Er sollte nicht auf der Straße leben müssen, er …«
»… könnte Ärger machen.«
»Er belästigt die Gäste nicht, und er ist auch kein aktenkundiger Triebtäter. Das ist alles, was ich wissen muss.«
»Und woher weißt du das?«
Sie wurde rot. »Dein Bruder hat es mir gesagt.«
»Wo schläft er?«
»Jericho? Keine Ahnung«, antwortete sie gereizt. »Irgendwo in der Nähe. Ich weiß ja auch nicht, wo du schläfst.«
»Möchtest du es sehen?«, fragte er leise.
Ihr Pulsschlag schnellte in die Höhe. »N-nein.« Sie räusperte sich. »Nein. Es ist nur … Das Inn ist ausgebucht, und auch die meisten anderen Unterkünfte sind schon seit Monaten reserviert. Es sei denn, du wohnst bei deiner Familie?«
Dylans Augenbrauen hoben sich. »Bei den Frischvermählten? Lieber nicht.«
Sie wischte die Hände an der Schürze ab. »Was ist mit deinem Vater?«
Sein Gesicht wurde undurchsichtig wie das eines Pokerspielers. »Mein Vater und ich reden nicht miteinander.«
»Aber deine Schwester …«
»Lucy war noch ein Baby, als
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