Feuerwogen
gesamten Wartezeit hatte er kaum einmal aufgesehen.
Bei den Worten der Ärztin jedoch sprang er auf die Füße und schleuderte die Playstation achtlos auf den Stuhl.
Dylan folgte dem Jungen.
Die Ärztin – ungefähr sechzig, rundes, braunes Gesicht und graumeliertes Haar – runzelte über ihrem Klemmbrett die Stirn. »Nur Familienangehörige.«
»Aber er hat sie gerettet«, protestierte Nick.
Dylan sah überrascht nach unten.
»Ich bin sicher, dass deine Mom sich noch bei ihm bedanken wird«, beschwichtigte die Ärztin. »Später. Aber jetzt will sie nur dich sehen.«
Antonia schob Nick durch die Tür in den Untersuchungsraum.
Caleb hielt die Ärztin zurück, als sie sich umdrehte, um ihnen zu folgen. »Wie geht es ihr?«
»Besser. Sie ist müde«, antwortete sie. »Die angewärmte Infusion hat ihre Körpertemperatur wieder normalisiert. Aber ich muss ihre Zehen im Auge behalten.«
»Was ist mit dem Baby?«, fragte Dylan.
»Mit welchem Baby?« Calebs Stimme klang scharf.
Dylan spannte die Schultern an. »Gut möglich, dass sie schwanger ist«, sagte er zu der Ärztin.
Die Ärztin sah hinunter auf ihr Klemmbrett und dann wieder zu ihm auf. »Und Sie sind …?«
Dylan biss die Zähne zusammen. »Der Vater.«
»Ich rede mit der Patientin«, erwiderte die Ärztin und verschwand durch die Tür.
»Du Mistkerl«, fluchte Caleb.
Dylan zuckte zusammen. Emotionen gärten und brodelten in ihm: Sorge, Verantwortungsgefühl, ein schlechtes Gewissen. Er überspielte sie mit einem höhnischen Grinsen, wie er am Selkie-Hof alle Emotionen zu überspielen gelernt hatte. »Warum? Weil du nicht der Einzige warst, der in deiner Hochzeitsnacht seinen Spaß hatte?«
Calebs Faustschlag katapultierte seinen Kopf zurück, so dass er ins Schwanken geriet.
Dylan tastete mit der Zunge seine Zähne ab und schmeckte Blut. »Einen«, knurrte er. »Einen hast du frei.« Er verdiente ihn. »Aber mach das noch mal, und ich schlage dich zu Brei.«
»Du kannst es ja mal versuchen«, gab Caleb zurück.
»Wenn du wirklich etwas für Regina tun willst, solltest du mich fragen, warum sie überhaupt entführt wurde.«
Caleb schob die Daumen in seine Hosentaschen. »Ich höre.«
Es war eine Sache, Margred seine Mission anzuvertrauen, aber eine andere, das stellte Dylan gerade fest, Familienangelegenheiten mit seinem Bruder zu diskutieren. Die Hunters waren noch nie gut in Kommunikation gewesen.
»Es gibt … Geschichten über unsere Familie. Über unsere Mutter.«
»Ja, ich habe die meisten davon gehört. Nachdem sie sich aus dem Staub gemacht hat.«
Dylan schüttelte den Kopf. »Das ist kein Klatsch. Das sind Legenden. Prophezeiungen, wenn du so willst. Die Geschichten besagen, dass eine Tochter aus Atargatis’ Linie eines Tages das Gleichgewicht der Kräfte unter den Elementargeistern verändern wird.«
»Atargatis.«
»Alice Hunter. Unsere Mutter.«
Calebs Augen verengten sich. »Na und?«
Dylan sprach bedächtig weiter, in dem gleichmütigen Tonfall, den er sich am Hof des Prinzen angeeignet hatte. »Wenn Regina ein Kind erwartet, ein Mädchen, könnte sie die Prophezeiung erfüllen. Und die Hölle würde sie als Gefahr für die gegenwärtige Ordnung betrachten.«
»Reginas Kind«, wiederholte Caleb.
»Ihr Kind. Und meins.« Es gab ihm einen Ruck – aus Besitzerstolz? Hochmut? –, als er das sagte.
»Du meinst, die Dämonen haben beschlossen, sie zu töten?«
»Um die Bedrohung durch das Kind auszuschalten. Ja.«
Sein Bruder fasste ihn grimmig ins Auge. »Hast du ihr eigentlich gesagt, dass sie zur Zielscheibe für leibhaftige Dämonen werden wird, bevor du sie geschwängert hast?«
Dylans Lippen wurden zu einem dünnen Strich. »Ich wusste es nicht.«
»Du wusstest nicht, dass sie schwanger war?«
Es stieß ihm sauer auf, es zugeben zu müssen. »Nein.«
»Und trotzdem hattest du kein Recht darauf, sie dieser Gefahr auszusetzen.«
»Dann denk du auch daran«, erwiderte Dylan, »wenn du heute Abend zu deiner Frau nach Hause gehst.«
[home]
10
I ch will nach Hause«, krächzte Regina.
Wärme drang aus den Wärmflaschen, die man um sie herum ins Bett gepackt hatte, und tropfte aus dem Infusionsbeutel in ihren Arm. Noch immer war ihr ganzer Körper kalt. Mit Ausnahme des Halses, der wie Feuer brannte. Sie wünschte verzweifelt, dass sich alles wieder normal anfühlte. Dass alles wieder normal war.
»Sei nicht albern«, blaffte Antonia. Das war eben die Art ihrer Mutter, ihre Besorgnis zum Ausdruck zu
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