Feuerwogen
mich hinauswirft.«
Regina sah ihn überrascht an. Die dunklen Wimpern hoben sich wie schwarze Kleckse von ihrem weißen Gesicht ab. Dann wärmte ein Lachen ihre Augen. »Vielleicht wollte ich mich ja nicht um den Spaß bringen, es selbst zu tun?«
Er grinste auf sie herab.
Ihre schmalen Schultern strafften sich, und sie ging – oder eher humpelte – an seinem ausgestreckten Arm vorbei hinein. Wie einen Spießrutenlauf brachte sie den Gang durch die Küche hinter sich und verließ sie durch die Hintertür.
Auf der Metalltreppe brauchte sie seine Hilfe. Oder er redete sich ein, dass es so war. Vielleicht genoss er es einfach, sie zu berühren.
Als sie in der Plastiktüte nach dem Wohnungsschlüssel wühlte, nahm er sie ihr ab und holte den Schlüssel aus ihrer nassen Jeans. Er hatte die Situation und sich selbst im Griff.
Bis er über die Schwelle ihrer Wohnung trat und sich die Wände wie eine Falle um ihn schlossen.
Sie lebte in einem …
Heim
. Die Art von Heim, die er fast fünfundzwanzig Jahre lang nicht mehr gekannt hatte. Gemütlich. Unordentlich. Überall fanden sich Spuren menschlichen Lebens: Kissen auf dem Boden, Kinderzeichnungen am Kühlschrank, Fotos auf den Tischen, eine rote Decke auf der Couch. Regina lächelte in Mütze und Talar neben einer dunkelhaarigen Antonia. Nicks kleine Handabdrücke waren in einem Bilderrahmen an der Wand verewigt.
Die Kinder der See waren wie diebische Elstern. Ihre Meereshöhlen und der Hof zu Caer Subai waren mit kostbaren und glänzenden Dingen ausstaffiert – mit allem, was in den Wellen versank und ihnen gefiel oder ins Auge sprang. Aber ihre Sammlung trug keinen persönlichen Stempel, auch nicht das Gewicht von Erinnerungen oder die Patina von Gefühlen. Es schnürte ihm nicht die Kehle zu so wie jetzt, weckte nicht dieses Heulen in seiner Brust.
Nichts auf Caer Subai änderte sich jemals. Gold und Eisen, Meer und Stein würden diese menschlichen Erinnerungsstücke überdauern. Aber jetzt, hier, umgeben von den Andenken an Reginas Leben und die Kindheit ihres Sohnes, wurde sich Dylan schmerzlich all dessen bewusst, was sich ändern würde.
Und all dessen, was schon verloren war.
Er stand wie angewurzelt auf Reginas abgewetztem Teppich, erstarrt in Verlangen und Verzweiflung.
Regina sah ihn wie eine Salzsäule mitten in ihrem Wohnzimmer stehen und reckte das Kinn ein wenig höher. »Ich hatte keinen Besuch erwartet.«
»Sicher nicht«, pflichtete er ihr bei.
An Angelschnüren in den Fenstern hatte sie Seeglas aufgehängt, das sich grün und golden vor der Dunkelheit draußen abzeichnete. Warum sollte ihm das einen Stich ins Herz geben?
»Nick und ich kommen schon allein zurecht. Du musst nicht hier bleiben.«
Bei ihrem Tonfall wurde er aufmerksam. Ihr Kinn war streitlustig angehoben, ihr Blick herausfordernd. Ihm wurde bewusst, dass sie verlegen war. Sie dachte, dass ihm ihr Zuhause nicht gefiel. Die Art, wie sie ihren Haushalt führte. Aber er konnte ihr schlecht erklären, dass der Anblick von Nicks Bleistiftzeichnungen, der dicken weißen Kerzen auf dem Tisch, des Popcorns in der Schüssel vor dem Fernseher etwas in ihm aufbrach und wie einen Gletscher zum Schmelzen brachte.
Er zuckte mit den Schultern. »In Ordnung.«
»Gut.« Sie wartete einen Augenblick auf eine Reaktion, von der er nicht wusste, wie sie aussehen sollte. »Du kannst die Couch haben. Ich sage Nick noch gute Nacht.«
Ein Streifen Licht drang unter der Zimmertür des Jungen hervor. Sie öffnete sie und ging hinein, und Dylan konnte wieder atmen.
»Hey, mein Kleiner.«
Nicks Kopf fuhr hoch. Sein Comicheft fiel zu Boden. »Mom!«
Er war froh, so froh, sie zu sehen. Auch wenn sie fürchterlich aussah. Ihr Gesicht war kalkweiß und müde. Okay, müde hatte er sie schon früher gesehen. Aber ihr Hals … O Mann. Beim Anblick ihres Halses wurde ihm schlecht.
Sie fing seinen Blick auf und nestelte beiläufig an ihrem Kragen. »Wie geht es dir?«, fragte sie. Sie klang wie Nonna, wenn sie rauchte.
Nick hob eine Schulter. »Ganz gut. Und dir?«
Sie lächelte und setzte sich auf die Bettkante, wie sie es getan hatte, als er noch klein war. »Alles bestens. Jetzt wird alles wieder gut.«
Er wollte ihr so gern glauben. Das wollte sie auch, er konnte es sehen. Aber der Schrecken der letzten Nacht war noch zu nah. Zu brutal. Er sah die blauen Flecken, die aus ihrem Ausschnitt lugten. Dieser Scheißkerl hatte ihr wehgetan, und Nick hatte nichts dagegen unternommen, hatte nicht
Weitere Kostenlose Bücher