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Feuerwogen

Feuerwogen

Titel: Feuerwogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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den Steinen in der Gasse verließ.
    Die Magie verschwand, und er blieb zurück, gestrandet und keuchend. Er lag auf dem Bauch; hartes grünes Unkraut spross zwischen seinen Fingern hervor, und Glasscherben glitzerten vor seinen geblendeten Augen wie Sterne.
    Er hörte ein Schaben, ein Atemholen und wandte den Kopf.
    Seine Schwester Lucy stand im Schatten der Tür, und ihre sonst so matten, verhangenen Augen funkelten wie das Meer am Mittag.
    Der Boden kippte unter seiner Wange weg.
    Sie blinzelte, und es war, als ob eine Jalousie über ihr Gesicht fiel und ihre strahlende Erscheinung zurückverwandelte in eine große, ziemlich durchschnittliche junge Frau in einem grünen T-Shirt und einer weißen Küchenschürze.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie beklommen.
    Seine Hände waren bis aufs Fleisch aufgeschrammt. In seiner Lippe klaffte ein Riss. Kopfschmerzen trieben Nägel durch seinen Schädel. Aber getragen von der Kraft, die durch ihn hindurchgebrandet war –
dieses Wunder, diese Rechtmäßigkeit
–, bemerkte er es kaum.
    »Hast du das gesehen … hast du das
gespürt
?«, fragte er sie.
    Sie machte einen Schritt nach hinten, als er auf die Füße taumelte, und zog sich noch weiter in den Schatten, in sich selbst zurück. Ihre Wimpern senkten sich wie ein Vorhang, der sich hinter einer Jalousie schloss.
    »Ich bin froh, dass es dir gut geht«, sagte sie.
    Als wäre die Welt nicht aus den Angeln gehoben worden. Als wäre überhaupt nichts geschehen.
    Als wäre nichts geschehen.
Die Angst versetzte ihm einen Stich, schmerzhafter als die Kieselsteine, die in seinen Händen steckten.
    Er warf den Kopf herum und fasste das Gebäude ins Auge.
    Da.
Erleichterung schüttelte ihn.
Das Mal des Wächters,
tief in Ziegelstein und Mörtel eingegraben. Das Zeichen der Macht fand sich in der östlichen Ecke des Fundaments, wo es Kraft aus der See, der Erde und der aufgehenden Sonne schöpfen konnte.
    Und obwohl er es selbst dort angebracht, die sich berührenden Spiralen mit seiner Not und seiner Gabe eingeschnitten hatte, raubte ihm der Anblick den Atem.
    Er sah zurück zu seiner Schwester.
    Sie lächelte unsicher und wandte sich zum Gehen.
    Getrieben von einem Drang, den er nicht verstand, rief er ihr nach: »Lucy.«
    Sie blieb unschlüssig in der Tür stehen. Sie wirkte ruhig und harmlos und so, als ob sie an jedem anderen Ort lieber wäre als hier.
    Reginas Worte kamen ihm wieder in den Sinn.
    »Hast du …« Er zögerte.
    Mal ein bisschen Zeit für mich?
Was für eine lahme Frage. Er hatte ihr die Mutter genommen. Was sollte sie da jetzt mit ihm anfangen?
    »Könnte ich eine Weile bei euch bleiben?«
    Sie blinzelte wieder, langsam diesmal. »Bei uns bleiben?«
    »Zu Hause«, ergänzte er und kam sich wie ein Idiot dabei vor.
    »Es ist nicht mein Haus. Oder meine Entscheidung.«
    »Wenn du willst, dass ich … ihn frage, frage ich ihn. Aber wäre es dir recht?«
    »Es wäre mir recht. Aber das habe ich nicht gemeint. Es ist deine Entscheidung.« Sie lächelte. Es war ein sonderbar wissendes, bitteres kleines Lächeln, das ihrem durchschnittlichen Gesicht einen faszinierenden Ausdruck verlieh. »Es war immer deine Entscheidung.«
     
    Regina verteilte stirnrunzelnd die antibiotische Wundsalbe aus dem Küchen-Erste-Hilfe-Koffer auf Dylans Schrammen. Er saß auf einem Barhocker an der Theke im Restaurant, wo er den Vorbereitungen, die in der Küche im Gang waren, nicht im Weg war. Sie musste sich zwischen seine Oberschenkel stellen, um die Salbe auf seine Wange aufzutragen. Er zuckte zusammen, als sie eine Abschürfung in der Nähe des Auges streifte.
    Mitfühlend durchzuckte es auch sie. »Ich habe keine Ahnung, wie du das angestellt hast«, murmelte sie.
    Er grinste sie dümmlich an, und ihr Herz machte einen Sprung. »Ich auch nicht.«
    »Du klingst widerlich zufrieden mit dir selbst.«
    »Das bin ich auch.« Er wartete, bis er ihre Aufmerksamkeit hatte, bis ihre Blicke sich begegneten. »Ich habe das Gebäude mit einem Schutzzauber belegt.«
    »Du …« Verstehen, Erleichterung, Dankbarkeit, alles stürmte auf sie ein. »Wow. Das ist ja … großartig.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ich es kann«, gestand er.
    Die Unsicherheit in seiner Stimme schnürte ihr das Herz zusammen. Sie berührte ihn leicht, unfähig zu verhindern, dass ihre Finger auf der zarten Haut neben seinem Auge, unter seinem Kieferknochen verweilten. »Aber du hast es geschafft. Glückwunsch.«
    Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine

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