Feuerwogen
Finger schlossen sich um die Münze. Ein Lächeln breitete sich auf seinem schmalen Gesicht aus, als er die andere Hand ausstreckte. »Abgemacht.«
Dylan nickte, während seine große, dunkle Hand die kleine, schmutzige von Nick umfasste.
Dies war ihr Sohn, dachte Regina, fast schwindelig vor Rührung. Ihre Familie, ihr Leben. Sie hatte nie einen Mann in ihrem Leben gehabt, nie das Bedürfnis nach einem Mann verspürt.
Aber nun, da sie zusah, wie Dylan und ihr Sohn ihren Pakt besiegelten, ging ihr auf, wie leicht er sich einen Platz in ihren Herzen erobern konnte.
Und wie weh es tun würde, wenn er wieder fort war.
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15
D as junge Mädchen an der Kasse sah aus violett umschatteten Augen auf die Münzen auf dem Tresen. »Damit können Sie nicht zahlen.«
Ungeduld fuhr in Dylan wie Wind in ein Segel. Er bebte in dem verzweifelten Wunsch, sich aus dem Staub machen zu können. Die Gänge der Apotheke abzusuchen war ein Alptraum gewesen. Zu viele Etiketten. Zu viel Auswahl. Was, wenn er das Falsche aussuchte? Er funkelte das Mädchen, das zwischen ihm und der Freiheit stand, an und knurrte: »Nehmen Sie das verdammte Geld.«
Ihre bemalten Augen weiteten sich, und ihr fiel die Kinnlade herunter. »Dad!«, rief sie.
Dylan biss die Zähne zusammen. So viel zu seinen »bezaubernden« Fähigkeiten.
Ein Mann mit einer Statur wie ein Fass und sich lichtendem Haaransatz walzte von der Fleischtheke herüber. »Gibt es ein Problem?«
»
Er
« – das Mädchen wies mit dem Lippenpiercing in Dylans Richtung – »will
damit
zahlen.« Sie bedachte das Vermögen in Silber, das er auf die Theke geknallt hatte, mit einem spöttischen Lächeln.
»Das sind auch Dollars«, sagte Dylan gepresst.
Amerikanische Dollars. Es war ja nicht so, dass er ihr Sesterzen oder Dublonen angetragen hatte.
Normalerweise verkaufte er ein paar Münzen an einen Händler in Rockland, wenn er Bargeld brauchte, um Propangas oder Vorräte zu kaufen. Aber die letzten Wochen auf World’s End hatten seine Barschaft aufgezehrt.
»Also, ich …« Die Fältchen in den Augenwinkeln des Mannes vertieften sich. »Dylan? Ich habe schon gehört, dass du wieder da bist.«
Dylan sah ihn verständnislos an.
»George«, sagte der Mann.
Dylan war mit einem Jungen namens George zur Schule gegangen. Von der Vorschule bis zur achten Klasse hatten sie gemeinsam die Schulbank gedrückt, Kaugummis und Hausaufgaben und diverse Ausgaben von
Penthouse
geteilt, die George aus dem Laden seines Vaters geschmuggelt hatte. Wileys Laden. George Wiley.
George.
Dylan gelang es schließlich, seine Zunge vom Gaumen zu lösen. »Schön, dich wiederzusehen.«
»Ja, gleichfalls. Junge, du siehst noch genauso aus wie früher.« George schüttelte den Kopf. »
Ganz
genauso.«
Weil er nur halb so schnell gealtert war, dachte Dylan mit einem seltsamen Gefühl im Magen.
George strahlte das Mädchen mit dem violetten Lidschatten an. »Das ist meine Tochter Stephanie, die dein Geld nicht nehmen will.«
Sie verdrehte die Augen. »Dad-dy!«
Sein Freund George war Vater, dachte Dylan verwirrt. Ein übergewichtiger Ladenbesitzer mit einer halbwüchsigen Tochter.
Nichts Menschliches war je von Dauer …
»Willst du bei uns anschreiben lassen?«, fragte George.
Dylan sah ihn finster an. »Was?«
Sein alter Freund wies nickend auf den Stapel Münzen auf dem Tresen. »Was du da hast, ist wahrscheinlich mein halbes Warenlager wert. Ich weiß nicht genau, wie viel, und ich kann es dir auch nicht tauschen. Also eröffnen wir für dich ein Kundenkonto, und du bezahlst einfach dann, wenn du kannst.«
Vielleicht waren manche Dinge doch von Dauer, erkannte Dylan. Wie die beiläufig angebotene Freundschaft eines Jungen, lange nachdem dieser erwachsen geworden war.
Er schluckte an dem Kloß in seinem Hals. »Das wäre … gut. Danke.«
»Wozu hat man Freunde?« George machte einen Eintrag ins Kassenbuch. Als er die Schwangerschaftsvitamine einpackte, warf er einen Blick darauf. »Ist Regina wohlauf?«
»Ja.«
Und schwanger.
»Schön.« Georges Grinsen wurde breiter. »Frauen und die Insel sind wie das Salz in der Suppe. Grüß sie von mir.«
Dylan verließ den Laden, seine Einkäufe in der Hand und Georges gute Wünsche noch in den Ohren.
Das also war es, was sich Regina für Nick wünschte. Das Netz, das Dylan so eng um sich spürte, konnte auch ein Netz des Zusammenhalts sein. Vielleicht waren Klatsch und Ärger, Reibereien und Forderungen hinnehmbar im Tausch gegen dieses
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