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Feuerwogen

Feuerwogen

Titel: Feuerwogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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ihm von hier weggehen wollte. Er stellte um ihretwillen sein eigenes Leben hintan. Um ihretwillen und ihres Sohnes willen. Hinter all dem Grübeln und Poltern war Dylan Hunter ein guter Mann. Nicht nur scharf und aufregend, sondern auch prinzipientreu und sogar … zärtlich.
    Ein zärtlicher, prinzipientreuer Kerl, der auch noch scharf war. Was ihn zu einer ebenso großen Rarität in ihrem Leben machte wie einen Selkie.
    Sie ging noch einmal zurück zu ihm. Seine dunklen Augenbrauen zogen sich ärgerlich zusammen. Lächelnd hauchte sie ihm einen Kuss auf den Scheitel. Dylan erstarrte wie der gesprungene Zement unter seinen Füßen. Sie spürte sein Haar warm an ihren Lippen.
    Dann richtete sie sich wieder auf. »Danke«, sagte sie und kehrte in die Küche zurück.
     
    Reginas Kuss – ihre warmen Lippen, ihr süßer Geschmack, ihr einfacher Dank – fiel wie Regen auf Dylans trockene Lippen und beschwor einen Sturm in seiner Seele herauf.
    Oder dort, wo seine Seele gewesen wäre, wenn er eine gehabt hätte.
    Wieder allein in der Gasse, schloss er die Augen und drückte die Stirn an die rauhen Ziegelsteine. Ihre Zuneigung würde nicht von Dauer sein, rief er sich zur Ordnung. Nichts Menschliches war je von Dauer. Familien wurden auseinandergerissen. Kinder wuchsen heran. Eltern starben.
    Besser, im Augenblick zu leben wie das Meeresvolk, als Herz und Hoffnung an …
    … Liebe zu hängen.
    Und doch, der Augenblick, als sie ihn eben geküsst hatte, nicht aus Lust oder Verlangen, war fast unerträglich süß gewesen, voller Vertrauen, bedeutungsschwanger.
    Schwanger.
Die spitzen Kiesel in der Gasse stachen ihm in die Knie. Die Vögel auf den Dächern sahen ihm aus klugen, unerbittlichen Augen zu. Regina war mit seinem Kind schwanger, und sie würde nicht mit ihm nach Sanctuary gehen.
    Er war verantwortlich für sie. Und wenn er sie nicht beschützen konnte, dann müsste er vor sich den Tod der einzigen zwei Frauen verantworten, die ihm jemals etwas bedeutet hatten.
    Er drückte die gespreizten Hände an die Mauer.
    Er war kein Wächter. Dies waren Ziegelsteine und Mörtel aus Menschenhand, nicht Stein und Sand. Er wusste nicht, ob das, was er gerade versuchte, überhaupt funktionieren konnte.
    Die Selkies trieben dahin, wie die See dahintrieb. Ihre Gabe war wie Wasser, kraftvoll, wechselhaft und fließend. Sie war unbeständig wie der Wind oder die Lust einer Frau. Flüchtig. Aber um Regina zu schützen, musste dieser Schutzzauber der Zeit und den Mächten der Hölle die Stirn bieten.
    Er kniete und hatte dabei die Hände erhoben, als ob er beten würde. Vielleicht tat er das. Vielleicht sollte er das.
    Er öffnete seinen Geist, schickte ihn in spiralförmigen Bewegungen hinab, spürte seine Gabe wie Wasser, das in einem Schwamm eingeschlossen war, jede Zelle und jede Faser durchtränkend, jedes Gelenk und jede Sehne schmierend. Conn sagte, dass die Magie des Meeresvolkes mit der Zahl seiner Untertanen abgenommen habe. Doch Dylan fühlte die Macht in seinem Blut wie ein stilles Meer, das auf die Anziehungskraft des Mondes wartete.
    Er versuchte, behutsam innerlich Druck aufzubauen und Platz zu schaffen – zwischen Herz und Lunge, zwischen Leber und Milz –, damit sich dort die Kraft sammeln konnte wie Wasser in einem Fußabdruck im Sand. Langsam sickerte sie hinein, eine Spur, ein Schimmer, eine Lache, und wuchs in den Spalten zwischen seinen Rippen, in seiner Bauchhöhle. Die Kraft nahm zu, ebenso wie die Hoffnung, wirbelnd, strudelnd in ihm, aber es war noch nicht genug, nicht ganz genug, wie Wasser, das durch einen Ast aufgestaut und zum Rinnsal wurde, wo er eine Sturzflut brauchte.
    Schweiß benetzte seine Hände, perlte auf seiner Stirn. Er versuchte, die Kraft herbeizuzwingen, sie seinen Knochen abzunötigen, sie seinem Herzen abzupressen, aber wie Wasser entzog sie sich seinem Zugriff und wurde in sein Gewebe resorbiert.
    »Du brauchst jemand anderen«,
hatte er zu ihr gesagt.
    Und ihre Stimme hatte fest und voller Zuversicht erwidert:
»Das glaube ich nicht.«
    Er stöhnte. Er wollte, brauchte …
    Mehr.
    Mehr.
    Die Kraft schoss durch ihn wie eine Welle durch eine Wasserrinne, durchspülte seine Sinne, brauste durch seine Adern, ergoss sich aus seinem Mund, sprang ihm aus den Augen, explodierte aus seinen Fingerspitzen. Alles, Herz und Hirn und Lenden, wurde davongeschwemmt wie brennende Äste von einer Flut.
    Er ließ zu, dass die Kraft ihn packte, wo und wie sie wollte, bis sie ihn, gefallen und leer, auf

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