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Feurige Schatten - Carriger, G: Feurige Schatten - Heartless (04)

Feurige Schatten - Carriger, G: Feurige Schatten - Heartless (04)

Titel: Feurige Schatten - Carriger, G: Feurige Schatten - Heartless (04) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Carriger
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und aristokratische Überlegenheit im Vergleich zu Professor Lyalls einstudierter Unaufdringlichkeit der Mittelschicht.
    Der Beta senkte beschämt den Blick. »Wussten Sie es die ganze Zeit über?«
    Channing seufzte, und ein Anflug von Schmerz huschte über sein fein geschnittenes Gesicht, so kurz, dass Alexia glaubte, ihn sich vielleicht nur eingebildet zu haben. »Für was für einen Gamma halten Sie mich?«
    Lyalls Lachen war nicht mehr als ein gequältes Schnauben. »Einen meistens abwesenden.« In dieser Aussage lag keine Bitterkeit, es drückte nur eine Tatsache aus. Channing war oft fort, um in Königin Victorias kleinen Kriegen zu kämpfen. »Ich dachte nicht, dass Sie es bemerkt hätten.«
    »Was genau meinen Sie? Dass es geschah? Oder dass Sie das meiste davon auf sich nahmen, damit er den Rest von uns in Ruhe ließ? Wer, glauben Sie, hat wohl dafür gesorgt, dass die anderen nicht herausfanden, was wirklich vor sich ging? Ich habe das mit Ihnen und Sandy nicht gutgeheißen, das wissen Sie, aber das bedeutet nicht, dass ich guthieß, was der Alpha tat.«
    Alexias ursprüngliche Selbstgerechtigkeit begann bei Channings Bemerkungen zu bröckeln. Hinter Lyalls Heimlichkeiten steckte mehr, als sie bisher wusste. »Sandy? Wer ist Sandy?«
    Professor Lyalls Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. Dann griff er in seine Westentasche – er schien immer alles, was er brauchte, in dieser Westentasche zu haben – und zog ein kleines, in Leder gebundenes Tagebuch hervor, marineblau, mit einer sehr schlichten Vorderseite, die die Datumsangabe 1848 – 1850 in der oberen linken Ecke trug. Es kam ihr schmerzlich bekannt vor.
    Leise durchquerte er das Zimmer und reichte es Alexia. »Ich habe auch die restlichen, von 1845 an. Er hat sie mir hinterlassen. Ich habe sie Ihnen nicht absichtlich vorenthalten.«
    Alexia hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie sagen sollte. Schweigen dehnte sich zwischen ihnen aus, bis sie schließlich fragte: »Diejenigen aus der Zeit, nachdem er meine Mutter verlassen hatte?«
    »Und als Sie geboren wurden.« Das Gesicht des Betas blieb völlig ausdruckslos. »Aber das hier ist sein letztes. Ich würde es gern behalten. Als Erinnerung.« Der Hauch eines Lächelns huschte über das ansonsten starre Gesicht, diese Art von Lächeln, wie man sie auf Beerdigungen sieht. »Er hatte keine Gelegenheit, es zu Ende zu bringen.«
    Alexia klappte das Tagebuch auf und überflog die dicht beschriebenen Seiten. Das kleine Buch war kaum halb voll. Zeilen sprangen ihr ins Auge, Einzelheiten einer Liebesbeziehung, die alle Beteiligten verändert hatte. Erst während sie las, erfasste sie das volle Ausmaß dessen, was sich darauf ergab. Es fühlte sich ein wenig so an, als würde man ihr mit einem Weihnachtsschinken eins überbraten. Winter 1848 – Er humpelt, will mir aber nicht sagen, warum, lautete ein Eintrag. Ein weiterer, vom darauffolgenden Frühling: Wir planen für morgen einen Theaterbesuch. Man wird es ihm nicht erlauben mitzukommen, dessen bin ich mir sicher. Und dennoch tun wir beide so, als würde er mich begleiten und wir miteinander über die Verrücktheiten der Gesellschaft lachen. Trotz der strengen Kontrolle, der er seine Feder unterworfen hatte, konnte Alexia die Anspannung und Angst zwischen den Zeilen ihres Vaters lesen. Die folgenden Einträge waren mit solch brutaler Ehrlichkeit verfasst, dass es ihr flau im Magen wurde: Die Blutergüsse sind jetzt auch auf seinem Gesicht und so schwer, dass ich mich manchmal frage, ob sie jemals abschwellen werden, trotz all seiner übernatürlichen Fähigkeiten.
    Sie hob den Blick und sah Lyall an, um alles zu erfassen, was diese Zeilen implizierten. Um Blutergüsse zu sehen, die seit über fünfundzwanzig Jahren verschwunden waren. Die Reglosigkeit in seinem Gesicht ließ sie vermuten, dass sie vielleicht immer noch da waren, gut verborgen, aber noch immer nicht verheilt.
    »Lesen Sie den letzten Eintrag«, schlug er sanft vor. »Nur zu.«
    23. Juni 1850
    Heute Nacht ist Vollmond. Er wird nicht kommen. Einst verbrachte er solche Nächte mit mir. Nun muss er die anderen durch seine Gegenwart schützen. Er hält seine ganze Welt durch bloßes Erdulden zusammen. Er hat mich gebeten zu warten. Doch ich verfüge nicht über die Geduld eines Unsterblichen und werde alles tun, um sein Leiden zu beenden. Alles. Am Ende läuft es auf eine einzige Sache hinaus. Ich werde jagen. Das ist es, worin ich am besten bin. Ich bin besser im Jagen als im

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