Fever Pitch
hinderte mich daran, meine Besorgnis mit meiner Mutter zu teilen (eine Ironie, die mir zur damaligen Zeit entging). Ehrlich, was ging da nur vor sich?
Für diesen Mittdreißiger hat das Pokalspiel an einem Nachmit
tag mitten in der Woche (West Harn spielte gegen den Favoritenkiller Hereford ebenfalls am Dienstagnachmittag und zog ein Publikum von zweiundvierzigtausend und ein paar mehr an) nunmehr jenen wundervollen Glanz der frühen siebziger Jahre, wie eine Folge der FENN STREET GANG oder ein Päckchen Number-Six-Zigaretten. Vielleicht wollte jedermann in Upton Park und Highbury, alle einhundertundsechstausend von uns, einfach nur eine der Millionen winziger Gäßchen der Geschichte der Gesellschaft entlangspazieren.
Ich und Bob McNab
Stoke City gegen Arsenal – (Villa Park) 15.4.72
Der FA Cup 71/72 war ein Knaller, eine scheinbar unerschöpfliche Quelle von Wundern und kniffligen Quizfragen. Welche zwei Teams benötigten elf Stunden, um ihre Partie der vierten Qualifikationsrunde zu entscheiden? Welcher Spieler erzielte beim 11:0-Erstrundensieg seines Teams gegen Margate neun Tore? Für wen spielte er damals? Wohin wurde er später transferiert? Wer waren die beiden Spieler von Hereford, die bei dem erstaunlichen 2:1-Sieg ihrer Southern-League-Truppe gegen Erstdivisionär Newcastle trafen? (Eine Hilfe: Die Nachnamen haben für Arsenalfans einen besonderen Klang.) Oxford City und Alvechurch, Ted Macdougall, Bournemouth, Manchester United, Ronnie Radford und Ricky George. Einen Punkt für jede Antwort, sieben Punkte und du hast ein Paar MalcolmMacdonald-Koteletten gewonnen.
Dann waren da die nachmittäglichen Pokalwiederholungsspiele und Charlies Fingerzeichen. In Villa Park, in unserem Halbfinale gegen Stoke, wurde unser Torwart Bob Wilson inmitten eines l:l-Unentschiedens vom Platz getragen (John Radford mußte einspringen), und ein paar Stunden vor dem Anpfiff sprach ich mit Bob McNab, dem linken Verteidiger von Arsenal.
Ich fuhr mit Hislam hinauf nach Villa Park, einem MöchtegernHooligan aus Maidenhead, dem ich immer mal wieder zufällig in Zügen begegnete. Ich hatte gewaltigen Respekt vor ihm. Er trug einen weißen Metzgermantel, der mit plump gekritzelten, roten Arsenal-Slogans bedeckt war – ein Muß für jemand mit Stehplatzambitionen. Auf dem Heimweg von den Spielen ließ er sich dann neben mir nieder im 5-Uhr-35-Zug von Paddington und fragte nach dem Ergebnis, wobei er erklärte, daß er in den Polizeizellen im Inneren des Stadions festgehalten worden sei und daher keinerlei Ahnung von dem habe, was über seinem Kopf vorgefallen war. Jenkins, der offenbar legendäre Führer der Nordtribüne (ich hatte noch nie von ihm gehört, fast unnötig, das zu erwähnen), war ein persönlicher Freund von ihm.
Wie vorauszusehen war, sollte ich bald herausfinden, daß das alles Mist war und daß Hislams Beziehung zur Realität selbst an einem guten Tag verschwommen war. Wenn es eine solche Gestalt wie Jenkins gab (der Führer, ein ränkeschmiedender Hooligan-General, der für militärische Taktiken verantwortlich ist, hat seine Wurzeln wahrscheinlich in städtischen oder sogar vorstädtischen Mythen), kannte Hislam sie nicht, und selbst ich, der ich heiß darauf war, einen waschechten Kriminellen zu meinen Bekannten zu zählen, begann mich zu fragen, wie ein scheinbar harmlos aussehender Vierzehnjähriger es fertigbrachte, jeden Samstag für Vergehen verhaftet zu werden, die frustrierend vage blieben.
Die Fußballkultur ist so amorph, so unüberschaubar, so riesig (wenn ich Hislam über Vorfälle in King’s Cross, Euston und den Seitenstraßen von Paddington sprechen hörte, schien ganz London im Griff ihrer Tentakel zu sein), daß sie unvermeidlich überproportional viele Phantasten anzieht. Wenn du den Wunsch hast, an einer furchterregenden Schlacht mit Tottenhamfans beteiligt gewesen zu sein, muß diese ja nicht im Stadion selbst vonstatten gegangen sein, was leicht überprüft werden kann. Sie kann auf einem Bahnhof stattgefunden haben oder auf dem Weg zum Stadion oder in einem feindlichen Pub. Fußballgerüchte dieser Art waren schon immer so dick und undurchdringlich wie Smog. Hislam wußte das und war quietschfidel dabei, seine schauerlichen und unwahrscheinlichen Lügen zu erfinden. Der Fußball war perfekt geeignet, seinen Bärenhunger auf Selbsttäuschung zu stillen, genau wie er in der Lage war, den meinen zu stillen. Für eine Weile herrschte zwischen uns eine zufriedenstellende
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