Fever Pitch
Jahr lang hatte ich mit der Möglichkeit von Liam Bradys Transfer zu einem anderen Club in der gleichen Weise gelebt, wie amerikanische Teenager in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern mit der Möglichkeit der drohenden Apokalypse gelebt hatten. Ich wußte, es würde passieren, und doch, trotz allem, erlaubte ich mir zu hoffen; ich machte mir darüber täglich Sorgen, las alle Zeitungen peinlich genau auf Hinweise durch, daß er vielleicht woanders unterschreiben könnte, und studierte während des Spiels sorgfältig sein Verhältnis zu den anderen Spielern des Clubs, für den Fall, daß es Bande enthüllte, die zu stark waren, um gebrochen zu werden. Ich hatte noch nie so intensive Gefühle für einen Arsenalspieler gehabt. Fünf Jahre lang war er der Mittelpunkt des Teams und daher das Zentrum eines sehr wichtigen Teils meiner selbst, und das Wissen um seinen gerüchteweise kursierenden Wunsch, Arsenal zu verlassen, begleitete mich ständig, ein kleiner Schatten auf jedem Röntgenbild meines Wohlbefindens.
Das meiste an dieser Fixierung war einfach zu erklären. Brady war ein Mittelfeldspieler, jemand, der Pässe spielen konnte, und Arsenal hat so einen eigentlich nicht mehr gehabt, seit er weg ist. Es mag für diejenigen, die nur eine rudimentäre Vorstellung von den Regeln des Spieles haben, überraschend sein zu erfahren, daß ein Erstligateam versuchen kann, Fußball zu spielen, ohne jemand zu haben, der den Ball passen kann und der für ein Kombinationsspiel sorgt, aber für den Rest von uns ist es keine Überraschung mehr: Das Kombinieren kam kurz nach Seidenschals und unmittelbar vor aufblasbaren Bananen aus der Mode.
Manager, Trainer und daher Spieler bevorzugen mittlerweile alternative Methoden, den Ball von einem Teil des Spielfeldes in einen anderen zu befördern, deren Kernstück eine Art Mauer aus aneinandergereihten Muskeln längs der Mittellinie ist, die die Aufgabe hat, den Ball in die ungefähre Richtung der Stürmer abzufälschen. Die meisten, nein, alle Fußballfans bedauern das. Ich denke, ich kann wirklich für uns alle sprechen, wenn ich sage, daß uns das Kurzpaßspiel gefallen hat, daß wir das Gefühl hatten, daß es alles in allem eine gute Sache war. Es war nett anzusehen, des Fußballs hübschestes Beiwerk (ein guter Spieler konnte zu einem Teamkollegen abspielen, den wir nicht gesehen hatten, oder einen Winkel finden, den wir nicht für möglich gehalten hätten, folglich hatte das Ganze eine wohltuende Geometrie), aber die Trainer waren anscheinend der Ansicht, daß es eine Menge Mühe bereitete und hörten deshalb auf, sich darum zu kümmern, irgendwelche Spieler hervorzubringen, die dazu in der Lage waren. Es gibt noch ein paar Spieler in England, die Pässe schlagen können, aber schließlich gibt es auch noch eine Anzahl von Hufschmieden.
Die meisten von uns über Dreißigjährigen überschätzen die Siebziger. Wir blicken auf sie als ein goldenes Zeitalter zurück, kaufen die alten Hemden, schauen alte Videos an und sprechen mit Hochachtung und Bedauern von Keegan und Toshack, Bell und Summerbee, Hector und Todd. Wir vergessen, daß sich England bei zwei Weltmeisterschaften nicht mal qualifiziert hat, und wir sehen über die Tatsache hinweg, daß die meisten Teams der ersten Division zumindest einen Spieler hatten – Storey bei Arsenal, Smith bei Liverpool, Harris bei Chelsea –, der fußballerisch einfach nicht viel draufhatte. Reporter und Journalisten beklagen sich über das Benehmen der heutigen Profis – Gazzas Gereiztheit, Fashanus Ellbogen, Arsenals Raufereien –, aber sie glucksen nachsichtig, wenn sie sich daran erinnern, wie Lee und Hunter auf dem ganzen Weg in die Umkleidekabine miteinander rangelten, nachdem sie vom Platz gestellt worden waren, oder daß Bremner und Keegan gesperrt wurden, weil sie sich in einem Spiel um das CHARITY SHIELD geprügelt hatten. Spieler in den Siebzigern waren nicht so flink und nicht so fit wie die heutige Spielergeneration, und wahrscheinlich waren die meisten von ihnen nicht einmal so kunstfertig; aber jede einzelne Mannschaft hatte jemand, der Pässe spielen konnte.
Liam Brady konnte das so gut, wie nur ein oder zwei andere Spieler in den letzten zwanzig Jahren, und das war bereits Grund genug, um von wirklich allen Arsenalfans verehrt zu werden. Aber für mich war noch anderes von Bedeutung. Ich betete ihn an, weil er großartig war, und ich betete ihn an, weil, bildlich gesprochen, Arsenal geblutet hätte,
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