Fey 01: Die Felsenwächter
galt so vieles zu bedenken. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie so hart gearbeitet und sich so viele Sorgen gemacht. Feldzüge waren immer mit Schwierigkeiten verbunden, aber dies hier war anders. Er mußte alles im Auge behalten: vom Bau der Truppenunterkünfte bis hin zur Versorgung mit Nahrungsmitteln und Kleidung.
Hinter ihm lachte jemand. Er drehte sich um. Jewel bahnte sich einen Weg durch die Holzstapel, die die Domestiken für den Bau von Häusern auf der Rückseite des Versammlungsblockes aufschichteten. Auch Rugar fiel es schwer, sich an die Farblosigkeit des Schattenlandes zu gewöhnen. In der dunstigen, halb undurchsichtigen Luft wirkte Jewels Gesichtsfarbe direkt krank. Ihre dunkle Haut sah fleckig, ihr schwarzes Haar ausgeblichen aus. Als sie ihn erkannte, winkte sie ihm zu. Er winkte zurück.
Sie sprach mit Burden, der erneut in Gelächter ausbrach und Jewel die Hand auf den Arm legte. Eine unauffällige Berührung, die sich unmerklich in eine Liebkosung verwandelte. Rugar straffte sich. Burden überschritt seine Grenzen. Das hatte er seit der Nacht der Ersten Schlacht um Jahn getan, als fühlte er sich Rugar moralisch überlegen. Als verliehen ihm seine Taten in der Schlacht ein Recht auf Jewel. Sie verwies ihn nicht in die Schranken, und das mißbilligte Rugar noch mehr. Schon zu viele Kinder waren aus bloßer Langeweile gezeugt worden. Er wollte nicht, daß seine Tochter an einem Ort wie dem Schattenland ein Kind am Schürzenzipfel hängen hatte.
Jewel befreite sich aus Burdens Griff und rannte zu ihrem Vater. Ihr Haar wehte hinter ihr her, und er mußte unwillkürlich lächeln. Sie war schön. Selbst an diesem grauen Ort strahlte sie eine Lebensfreude aus, die alles leichter machte.
Sie ließ sich mit gekreuzten Beinen neben ihm nieder, so daß ihre Knie sich berührten. »Das Wasser ist rationiert«, sagte sie. »Es wird immer einfacher. Alle haben jetzt Behälter in der richtigen Größe, und keiner drängelt sich mehr vor. Bald werden sie sich Wasser holen können, ohne daß wir sie überwachen.«
Rugar schüttelte den Kopf. »Es wird immer welche geben, die sich zuviel abfüllen.«
»Der Tank läuft fast über«, entgegnete Jewel. »Gia sagt, wir müssen bald einen neuen bauen.«
»Gut«, sagte Rugar. »Gerade jetzt können wir gar nicht genug Wasser haben.«
Jewel lehnte sich zurück und legte die Hände flach auf den Versammlungsblock, den Blick auf den Dunst gerichtet, den man woanders als Himmel bezeichnet hätte. »Glaubst du, daß die Kundschafter tot sind?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Rugar. »Ich habe keine Lust, Spekulationen anzustellen.«
»Beim letzten Mal kamen die Kundschafter erst nach den Überlebenden zurück«, erinnerte Jewel sich nachdenklich.
»Beim letzten Mal haben sich die Inselbewohner vom Land aus verteidigt. Hätten sie vom Meer aus angegriffen, wären die Kundschafter als erste zurückgekommen.«
»Weißt du«, sagte Jewel, seinem Blick immer noch ausweichend, »ich habe mich oft gefragt, warum uns noch niemand gesucht hat. Großvater hätte schon längst Verstärkung schicken müssen. Der Schwarze König läßt seine Truppen nie länger als einen Monat oder zwei allein. Glaubst du, ihm ist etwas zugestoßen?«
»Ihm geht es gut«, sagte Rugar.
Jewel richtete sich auf. »Hast du Nachricht von ihm?«
Rugar verneinte. »Ich weiß nur, daß er nicht kommen wird.«
Die Worte standen zwischen ihnen. Jewel strich sich mit der Hand über das lange Haar, um es zu glätten; dann wickelte sie sich eine Strähne um den Zeigefinger. Schließlich sprach sie wieder: »Das war es also, worüber ihr euch in Nye an dem Tag, als ich auf dich gewartet habe, gestritten habt. Er hat gesagt, er würde dich nicht unterstützen.«
Rugar senkte den Blick auf seine Hände. Tag für Tag, Monat für Monat war er dieses Gespräch in Gedanken immer wieder durchgegangen. Er hatte immer geglaubt, sobald er erwachsen wäre, würde er kluge Entscheidungen, starke Entscheidungen treffen. Er hatte geglaubt, sein Vater habe sich zu weit von seinem Volk entfernt, um noch in die Zukunft blicken zu können. Er hatte vergessen, daß auch der Schwarze König ein großer Visionär war, vielleicht noch größer als Rugar selbst, denn er hatte Jahrzehnte damit verbracht, seine Magie zu vervollkommnen. Was hatte sein Vater Gesehen? Und warum hatte er nichts gesagt?
»Habe ich recht?« beharrte seine Tochter. »Er wollte nicht, daß wir hierherkommen.«
Rugar schluckte. Er konnte es
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