Fey 01: Die Felsenwächter
nicht länger für sich behalten. »Er hat gesagt, unsere Leute seien des Kämpfens müde; sie müßten sich jetzt ein paar Jahre ausruhen und die Früchte ihrer Triumphe genießen. Ein paar von den Soldaten, darunter auch ich, hätten ihr ganzes Leben lang gekämpft, und jetzt sei es an der Zeit, sie zu belohnen. Er meinte, den Krieg jetzt fortzuführen würde bedeuten, das erste Mal in unserer Geschichte eine Niederlage zu riskieren.«
»Er hatte recht«, sagte Jewel und zog die Knie an die Brust.
»Ja, jetzt wissen wir es«, erwiderte Rugar. »Aber er hätte sich auch täuschen können.«
»Warum hat er dich dann überhaupt gehen lassen?«
»Weisheit.« Auch Rugar hatte schon darüber nachgegrübelt. »Auf diese Weise kann er sein Reich weiterhin ohne Störenfriede regieren. Aber er war wütend, daß ich dich mitgenommen habe.«
»Ich wollte mit«, entgegnete Jewel.
Rugar nickte. »Und ich habe dich in meiner Vision von diesem Ort Gesehen, Jewel, ich schwör’s dir. Du gingst wie die neue Herrin durch den Palast der Blauen Insel. Du warst älter. Ich dachte, das bedeutet, daß wir gewonnen hätten.«
»Wir sind noch nicht am Ende.« Jewel stützte das Kinn auf die Knie. »Ich frage mich nur, warum Großvater uns für Störenfriede hielt.«
Rugar sah sich um. Die Schläge der Holzfäller ertönten wie gewohnt, aber Burden war gegangen, und auch sonst war niemand zu sehen.
»Als mir klar wurde, was er vorhatte, bewunderte ich seine Klugheit.« Rugar seufzte. »Du bist zu jung, um dich daran zu erinnern, aber als ich ein Junge war, stellten wir für ein Jahr alle Kampfhandlungen ein. Wir hatten mit den L’Nacin einen Waffenstillstand geschlossen, und wir hätten unseren Marsch nach Westen zu diesem Zeitpunkt abbrechen können, aber viele Soldaten konnten sich nicht mehr an das zivile Leben gewöhnen. Manche hielten es noch nicht einmal als Wachen aus … es war ihnen zu langweilig. Sie bildeten Räuberbanden und plünderten L’Nacin, stahlen und mordeten, und dann verkauften sie die Beute, selbst wenn sie kaum etwas wert war. Es gibt immer Leute, die es ohne die Abenteuer des Krieges nicht aushalten. Daran erinnerte sich dein Großvater und befahl mir, nur Freiwillige mitzunehmen, weil er glaubte, diese Leute würden sich ohnehin nicht mehr an die Gesetze halten.«
»Manche von ihnen kamen aber nicht gern.«
»Das stimmt«, sagte Rugar. »Manche folgten mir, weil ich, nicht der Schwarze König, ihr Befehlshaber war. Und manche kamen mit, weil sie finden, daß die Fey sich nicht mit Galinas zufriedengeben sollten. Aber viele kamen auch, weil sie den Kampf lieben.«
Jewel bohrte das Kinn in die Knie. Sie weigerte sich, ihren Vater anzusehen, und das machte Rugar nervös. Er kam nicht an sie heran, kühl und selbstbeherrscht, wie sie war.
»Ich kann nicht glauben, daß er seinen eigenen Sohn so einfach seinem Schicksal überläßt.«
Rugar seufzte. Jewel war noch jung, nicht gewohnt, schwierige Entscheidungen zu treffen. Eines Tages würde sie verstehen, daß es für einen Herrscher nicht immer von Vorteil ist, der Stimme seines Herzens zu folgen. »Er hat versucht, mich davon abzubringen. Wir haben uns einen ganzen Monat lang gestritten. Du erinnerst dich nur an den letzten Tag, als er schließlich nachgab.«
Auch Rugar erinnerte sich daran: an den Ausdruck auf dem Gesicht des Schwarzen Königs, als er sagte: Sieh zu, ob du eine Truppe zusammenbekommst. Es war ein Abschiedsblick gewesen. Er hatte nicht wie sonst die Truppe inspiziert. Tatsächlich war er am Tag vor Rugars Aufbruch aufs Land abgereist.
»Aber dich so allein zu lassen …«
»Ich bin erwachsen, Jewel. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen, seien sie nun gut oder schlecht.« Rugar lächelte. Er bezweifelte, daß er Jewel gegenüber so stark wie sein Vater sein könnte.
»Aber du bist der nächste in der Thronfolge.«
Rugar nickte. »Und ich bin zwanzig Jahre jünger als er. Wenn er so lange regiert wie die meisten Schwarzen Könige, wird er als steinalter Mann sterben. Mir bleibt dann eine Regierungszeit von höchstens zehn Jahren. Mich zu verlieren ist nicht das größte Risiko auf diesem Feldzug. Dich zu verlieren ist weitaus schlimmer. Die Tatsache, daß er dir trotzdem erlaubt hat, mich zu begleiten, beweist, wie sehr er sich wünscht, mir glauben zu können. Du bist sein wahrer Nachfolger, nicht ich.«
Jewel ließ den Kopf noch tiefer sinken, so daß nur noch Augen und Nasenspitze hervorlugten. Rugar streckte die Hand aus und
Weitere Kostenlose Bücher