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Fey 02: Das Schattenportal

Fey 02: Das Schattenportal

Titel: Fey 02: Das Schattenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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vertrauen. Aufgeregtheit machte sich in seinem Magen breit, ließ ihn noch mehr zittern als zuvor. Nun mußte er nur noch herausfinden, woher er saubere Glasflaschen und reines Wasser bekam.
    Der Cardidas führte reines Wasser. Und er konnte die Kinder dazu bringen, es für ihn heraufzuholen, wenn er es als eines von Andres Spielen deklarierte. Niemand stellte Andres Spiele in Frage.
    Eine so große Erleichterung durchflutete ihn, daß er spürte, wie sein Gesicht rot anlief. Er war jetzt wieder bereit, ein Doppelgänger zu sein. Er würde das Rätsel des Giftes lösen, und dann würde er die Blaue Insel verlassen. Für immer.

 
9
     
     
    Der Rocaan hielt inne und rieb sich die Augen, zuckte zusammen, als der Staub an seinen Fingern das Brennen noch verschlimmerte. Er hatte schon lange nicht mehr soviel Zeit über den Büchern verbracht. Er lehnte sich in dem Lehnstuhl, den er vor seinen Sekretär gestellt hatte, zurück und hörte zu, wie das Holz unter seinem Gewicht ächzte. Seine Augen tränten. Er brauchte besseres Licht.
    Langsam erhob er sich und hielt sich an der Stuhllehne fest. Seit Alexanders Sohn ihn vor Stunden verlassen hatte, hatte er in der gleichen Haltung dagesessen. Die anderen dachten, der Rocaan arbeitete am Weihwasser, doch diese Aufgabe hatte er heute Matthias übertragen. Der Rocaan würde die seine am Morgen erledigen, wenn er sich frischer und wacher fühlte.
    Heute abend jedoch mußte er seine Suche nach Antworten fortsetzen und seine eigenen Schlüsse ohne das Zutun von Matthias’ verdrehtem Gelehrtengeist ziehen. Der Rocaan hatte heute die Geschriebenen Worte noch einmal gelesen, um herauszufinden, ob er etwas übersehen, etwas falsch ausgelegt oder gar mißverstanden hatte. Nachdem er den vertrauten Text eine Weile überflogen hatte, mußte er sich dazu zwingen, ihn laut zu lesen. Selbst das hatte nicht völlig ausgereicht, denn er hatte damit begonnen, die Ungeschriebenen Worte hinzuzufügen, wie ein hoch über der Melodie dahinfliegender Diskant. Der Glaube schien keine klaren Gedanken zuzulassen. Die Worte hatten schon vor so langer Zeit die Stellung eines Rituals eingenommen, daß er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wann sie ihm jemals neu und unverbraucht vorgekommen waren.
    Falls das überhaupt je der Fall gewesen war.
    Sein Vater hatte die Worte vor jedem Mahl rezitiert, und der Rocaan war mit dem Text seiner Religion aufgewachsen, als handelte es sich um die Strophen eines Liedes. Vielleicht hatte er noch nie zuvor eine Bedeutung in ihnen gesucht. Vielleicht verabscheute er an Matthias genau das, nämlich seine Fähigkeit, die Litanei beiseite zu schieben und die Worte als das zu sehen, was sie wirklich waren.
    Doch sosehr er es auch versuchte, der Rocaan konnte die Geschriebenen Worte nicht so sehen, wie sie dastanden, sondern nur so, wie sie die Religion haben wollte: als Bestandteil des Rituals, als Teil der Lehre und als Teil der Heilung. Denn zwischen den Zeilen des Textes waren die Ungeschriebenen Worte verborgen, und hinter diesen standen die Geschichten, die das Rückgrat des Glaubens bildeten. Geschichten, wie sie die uralten Gemälde im Tabernakel illustrierten, durch mündliche Erzählungen weitergereicht wurden und nicht unbedingt zu den Worten gezählt wurden, wie sie von einem bestimmten Ältesten – in diesem Fall Eirman – erinnert und bei der Messe zum Tag der Aufnahme gesungen wurden.
    Ein Klopfen an der Tür riß den Rocaan aus seinen Gedanken. Statt den Klopfer – er wußte, daß es sich um einen Aud handeln mußte – hereinzubitten, ging er selbst zur Tür und spähte durch den Sehschlitz. Der Aud, der dort draußen im Korridor stand, war unglaublich jung, kaum älter als fünfzehn, ein Junge kaum alt genug, um eine Entscheidung für sein ganzes Leben zu treffen, was er wahrscheinlich auch nicht getan hatte. Der Rocaan war beinahe versucht, die Tür zu öffnen und den Jungen zu fragen, ob ihn seine Eltern dazu gezwungen hatten, wie damals Matthias, oder ob der Junge aus freiem Willen gekommen war.
    Statt dessen schob er den Riegel zur Seite, machte die Tür auf und versperrte dem Jungen mit einer gegen den Türrahmen gestützten Hand den Weg. »Ich würde das Abendessen gern in meinem Zimmer einnehmen«, sagte er, bevor der Junge das Wort ergreifen konnte. »Und ich zünde mir den Kamin und die Lampen heute abend selbst an.«
    Der Junge nickte und wandte sich mit errötendem Gesicht ab. Dann verneigte er sich und entfernte sich auf dem

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