Fey 02: Das Schattenportal
Korridor. Seine nackten Füße flüsterten über den Läufer. Der Rocaan wartete, bis der Junge weg war. Erst dann schloß er die Tür. Er hatte es schon immer als lächerlich empfunden, daß die Kirchenobersten wie Adlige bedient wurden. Schließlich sollten sie viel eher Diener sein, die mit ihrer Arbeit anderen halfen. Doch irgendwann hatte irgend jemand beschlossen, daß die Ältesten und der Rocaan gehegt werden müßten, wenn sie ihrer geistlichen Arbeit nachgehen sollten, und so waren ihnen ihre materiellen Sorgen abgenommen worden.
Aber vielleicht waren ja gerade die körperlichen Bedürfnisse und Entbehrungen die Voraussetzung für spirituelle Erkenntnis. Der Herr wußte, wie weit er sich bereits von seinem Gott, von seinesgleichen und von sich selbst entfernt hatte, seit er Rocaan geworden war. Dabei hätte er eine größere Nähe erreichen sollen.
Als er noch ein Junge war und den Rocaan bei einer Messe unter freiem Himmel unweit der Sümpfe von Kenniland gesehen hatte, hatte er das alles für eine großartige, magische Sache gehalten, zu Ehren des Heiligsten und alles, was dazugehörte. Er hatte sich vorgestellt, der Heiligste sitze auf des Rocaan Schulter, und der Roca selbst gehe ihm als Führer voraus. Der Rocaan hatte nie selbst nach dieser Position getrachtet – das hätte sämtliche Grundsätze seines Glaubens verletzt; doch als er entdeckte, daß er es hatte, hatte er erwartet, daß etwas oder jemand von oben auf ihn herabstürzen und ihn segnen würde, daß er sich wirklich Gott gefällig fühlen würde.
Statt dessen war er ein müder alter Mann ohne Hoffnung und ohne Träume, ein alter Mann, der nichts verstand.
Er löste sich von der Tür, nahm den Feuerstein in die Hand und zündete die Kerze an. Dann hob er die Gläser von den Lampen und hielt die Kerze an die Dochte. Die Auds wurden immer sparsamer, zündeten nur die Lampen an, die in der Nähe des Bettes des Rocaan und neben seinem Lieblingsstuhl standen. Er hingegen zündete jede Lampe im Zimmer an. Schließlich zwang er seinen alten Körper in die Hocke und baute ein Feuer im Kamin, so wie er es damals, vor sechzig Jahren, als Aud getan hatte, als er dem Daniten seiner Gemeinde gedient hatte. Seine Hände erinnerten sich noch an die Prozedur.
Er öffnete das Gitter, schichtete das Holz über dem Stein aufeinander, gab Anmachholz und Zunder dazu und entzündete das Feuer. Der Danite, dem er damals diente, hatte nie so große Feuer gehabt. Er hatte das Holz immer für die Auds aufgespart, damit sie genug für ihren Gemeinschaftsraum hatten, wo sie ihre täglichen Gebete verrichteten. Es gab nicht sehr viel Holz in den Sümpfen von Kenniland, obwohl man nicht weit von Jahn entfernt war. Die Wälder hier waren hingegen stark und dicht, wurden in jeder Saison wie Getreide neu gepflanzt.
Die anstrengende Haltung ließ seine Beine zittern. Er stützte sich mit einer Hand an der Steinwand des Kamins, mit der anderen auf dem Boden ab und stand auf. In seinem alten Körper steckte nicht mehr viel Kraft. Das bißchen, das er früher einmal besessen hatte, war durch das viele Sitzen, Essen und das bequeme Schlafen verflogen. Sein Vater hatte nicht solange gelebt. Er war schon gestorben, als der Rocaan noch Aud war, beim Graben nach Pilzen im Sumpf. Sie hatten seine Leiche erst nach einer Woche gefunden.
Nachdem er sich erhoben hatte, lehnte sich der Rocaan gegen den Kamin, spürte die Wärme der Flamme durch die samtene Robe. Dann wandte er sich um und ließ den Blick über den hellerleuchteten Raum schweifen. Wie er gehofft hatte, wurden die verblaßten Gemälde und Stiche allmählich sichtbar.
Über ihm, an der Decke, empfing der Roca den Segen eines Kindes. Diese Radierung war, wie alle anderen auch, in Gold ausgeführt und kam nur bei der richtigen Beleuchtung zum Vorschein. An der Wand hinter seinem Schreibtisch war abgebildet, wie der Rocaan die Sanktion durch den Heiligsten in einem Blitz weißen Lichts empfängt. Er wußte nicht viel über den Ersten Rocaan. Damals bewahrte niemand die mündlichen Überlieferungen, mit Ausnahme des Rocaan selbst. Er wußte nicht einmal genau, wie lange der Erste Rocaan im Amt gewesen war. Vermutlich konnte er das in etwa herausfinden, indem er die Generationen mit Hilfe des Durchschnittsalters der Rocaans zurückrechnete, aber das blieb ziemlich ungenau. Da gab es diesen Dreißigsten Rocaan, der sich sein Zeremonienschwert umlegte, in Ohnmacht fiel und nie wieder aufwachte. Er war nur für wenige
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