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Fey 02: Das Schattenportal

Fey 02: Das Schattenportal

Titel: Fey 02: Das Schattenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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Damals war er gleichzeitig von großer Trauer und großer Freude erfüllt gewesen: Trauer um den Verlust eines Mentors und Freude darüber, in seine Fußstapfen treten zu dürfen. In den folgenden Tagen hatte der sterbende Rocaan den Rest der ihm verbliebenen Kraft darauf verwendet, den neuen Rocaan zum Hüter der Geheimnisse zu machen.
    Die Geheimnisse. Er ging sie jeden Abend wie eine Gebetsmühle durch, doch die meisten verstand er nicht. Wie etwa das Ritual der Aufnahme, das noch kein Rocaan zuvor durchgeführt hatte, das aber von Anbeginn der Religion weitergereicht worden war. Vielleicht war das Ritual so verstümmelt wie die Ungeschriebenen Worte. Vielleicht fehlten Stellen, waren ganze Passagen von den ältlichen, sterbenden Männern, die die Tradition fortzusetzen versuchten, einfach vergessen worden.
    Es klopfte an der Tür, dann erinnerte ihn eine leise Stimme an den Aud, der vorhin weggegangen war. Der Rocaan nahm die Hände vom Gesicht und seufzte.
    »Herein«, sagte er, und der Junge trat mit einem Tablett voll Essen ein. Der Duft frischen Lammeintopfs mit Soße, Kartoffeln und Zwiebeln erfüllte den Raum. Der Magen des Rocaan knurrte. Der Koch, der wußte, wie sehr der Rocaan Teigwaren liebte, hatte zusätzlich frisches Brot auf das Tablett gelegt. Im Abendtrunk des Rocaan, einem Becher Met, schimmerte das Licht.
    Der Junge stellte das Tablett auf den Tisch. Der Eintopf dampfte noch.
    »Heiliger Herr«, sagte er mit respektvoller Stimme, »möchtet Ihr, daß ich einige Lichter verlösche?«
    »Nein, mein Junge«, erwiderte der Rocaan, »ich brauche sie heute abend.«
    Der Aud nickte und faltete die Hände vor seinem groben schwarzen Gewand. Dann drehte er sich um und entblößte im Gehen die schwarzen Sohlen seiner sehr schmutzigen Füße.
    »Mein Junge«, sagte der Rocaan. »Woher stammst du?«
    Der Aud blieb stehen, drehte sich abermals zu dem Rocaan um, hielt den Kopf aber gebeugt. »Vom Fuße der Schneeberge«, sagte er.
    Der Rocaan nickte. Er war nur einmal in den Schneebergen gewesen, damals, als Danite. Die Dörfer dort waren klein, denn die Winter waren streng, und es bedurfte eines bestimmten Menschenschlags, um den Schneemassen die Stirn zu bieten. Einige behaupteten, die Bauern, die den Aufstand überlebt haben, seien in die Schneeberge geflohen, doch niemand hatte sie dorthin verfolgen wollen.
    »Welche Geschichten erzählen sich deine Leute vom Roca? Geschichten, die du noch nicht gehört hast, seitdem du Aud geworden bist?«
    Zum Erstaunen des Rocaan errötete der Junge. »Das ist Gotteslästerung, Heiliger Herr.«
    »Gotteslästerung?« fragte der Rocaan. »Woher willst du das wissen?«
    »Wenn man nichts anderes kennt, erfindet man Lügen.« Der Junge umschrieb die Warnung, die allen Novizen mit auf den Weg gegeben wurde.
    »Aber damals hat dir niemand erzählt, es sei gotteslästerlich?«
    »Nein, Heiliger Herr.«
    »Dann teile es mir doch bitte mit.«
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    »Ich habe das Ohr Gottes«, sagte der Rocaan. »Wenn ich es als gotteslästerlich empfinde, werden wir dich erneut segnen, deine Lippen mit Weihwasser reinigen und um Vergebung bitten.«
    Der Junge schluckte so heftig, daß sein Adamsapfel hüpfte. »Jawohl, Heiliger Herr.«
    »Komm her«, sagte der Rocaan. »Setz dich neben mich. Der Koch hat ohnehin zuviel Brot für einen alten Mann mitgegeben.« Er berücksichtigte die Regelung, nach der Auds nur einmal pro Woche Fleisch essen durften, und wollte den Jungen nicht dazu verleiten, diese Vorschrift zu brechen. Andererseits wollte er ihn auch nicht beim Essen zusehen lassen.
    Der Junge wischte sich die Rückseite seines Gewandes ab, bevor er sich neben dem Rocaan auf den Stuhl setzte. Dann griff er mit der verhaltenen Gier zu, an die sich der Rocaan noch gut erinnerte. Die Auds bekamen nie ausreichend zu essen und auch nie genug Schlaf. Das gehörte zur rituellen Indoktrination. Jeder junge Bursche, der stark genug war, die Routine aus Arbeit und Entbehrung zu überstehen, war auch stark genug, Gott zu dienen.
    Der Junge fing jedoch erst zu essen an, nachdem der Rocaan einen Bissen zu sich genommen hatte. Der Eintopf war köstlich und kräftig gewürzt. Der Geschmack explodierte auf seiner Zunge. Wie so viele, die die Hungerzeit der ersten religiösen Jahre durchgemacht hatten, war er dick geworden und hatte sich an den Luxus gewöhnt – und das so sehr, daß er auf unbewußte Weise große Angst davor hatte, jemals wieder Entbehrungen erleiden zu

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