Fey 02: Das Schattenportal
und schüttelten die Köpfe. »Bitte um Vergebung, Hoheit, aber er ist den ganzen Tag nicht hiergewesen«, sagte Charissa.
»Und gestern nachmittag auch nicht«, ergänzte Evadne.
»Wann habt ihr ihn das letzte Mal gesehen?« wollte Nicholas wissen.
»Bei der Dienstbesprechung am Morgen«, sagte Agnes. »Gestern. Heute morgen kam er nicht. Wir haben uns selbst beholfen.«
»Nicht gut genug«, murmelte der Schlachter.
»Was?« fuhr ihn Nicholas an, obwohl er ihn sehr wohl verstanden hatte.
»Bitte um Vergebung, Hoheit«, sagte der Schlachter.
»Hat er schon jemals zuvor die morgendliche Dienstbesprechung verpaßt?« erkundigte sich Nicholas.
»Nein, Hoheit. Ohne ihn würde das ganze Haus zusammenbrechen, wißt Ihr, und dann kriegen wir alle ganz schön Ärger.« Evadne hielt den Blick gesenkt, solange sie mit dem Königssohn sprach.
Sie glaubten also, etwas falsch gemacht zu haben. Er sah sie an und überlegte, ob er diese Angst ausnutzen könnte, verachtete sich jedoch sogleich für diesen Gedanken.
»Nein. Ihr kriegt keinen Ärger«, sagte er. »Ihr helft mir nur dabei, ein Geheimnis zu lüften.« Er unterdrückte einen Seufzer.
Wenn er eine klare Antwort haben wollte, mußte er sämtliche Hausbediensteten einzeln befragen, und dazu hatte er an diesem Abend nicht mehr die nötige Geduld. Wenn er hier fertig war, würde er seinen Vater aufsuchen müssen. Er nahm noch einen Schluck Met.
»Ist jemandem von euch in letzter Zeit hier etwas Merkwürdiges aufgefallen? Ein Häufchen Knochen vielleicht, oder ein großer Blutfleck? Wie damals, als wir die Knochen im Korridor neben Stephan fanden.« Mit dem letzten Satz sprach er direkt Evadne an, denn er erinnerte sich, sie an jenem Tag in einer Ecke stehen gesehen zu haben, mit Mop und Eimer ausgerüstet und das Gesicht vor Schreck wie erstarrt.
»Nein, seit der Invasion nicht mehr, Hoheit«, sagte sie und wurde bei der Erinnerung daran ganz blaß.
»Habt ihr während der Invasion mehr solcher Spuren im Palast gefunden?« fragte er.
»Bitte um Vergebung, Hoheit«, sagte Agnes, »aber es sah überall schrecklich aus. Wir brauchten drei Tage, nur um die Leichen fortzuschaffen und das Blut aufzuwischen. Erst dann konnten wir mit dem eigentlichen Saubermachen anfangen.«
»Habt ihr mehr solcher Spuren gefunden oder nicht?«
Charissa strich sich eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. »Ich half dem Haushofmeister, einiges von dem Zeug aus seinem Zimmer zu schaffen«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Er bat mich, nichts davon zu erzählen, aber ich denke, das ist jetzt egal.«
»Er bat dich, nichts davon zu erzählen?« Nicholas blinzelte sie argwöhnisch an. Was für eine merkwürdige Bitte. »Hat er dich schon jemals zuvor um etwas Derartiges gebeten?«
»Nein«, erwiderte sie rasch. Ihre Wangen wurden leicht rot. »Niemals.«
Unschlüssig, ob er die Angelegenheit weiterverfolgen sollte, sah Nicholas sie an. Schließlich sagte er: »Als er dich zuvor um Stillschweigen gebeten hatte, ging es da um persönliche Dinge?«
Jetzt färbten sich ihre Wangen zu einem tiefen, verschämten Rot. Sie nickte kurz.
»Aber nichts in der soeben geschilderten Art?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Lag dort auch Blut?«
Sie machte einen tiefen, zitternden Atemzug. »Viel. Neben der Tür. Ich wischte es auf und dachte noch …« Ihre leise Stimme verstummte gänzlich, bis sie noch einmal tief Luft holte. »Ich fragte mich, wie er die ganze Nacht in diesem Zimmer schlafen konnte, bei diesem strengen Geruch.«
»Blutgeruch?«
Sie nickte wieder.
»Aber es war die Nacht nach der Invasion. Hat da überhaupt jemand geschlafen?«
Sie zuckte die Achseln.
Nicholas packte den Krug mit kräftigen Fingern und spürte, wie sich der Druck auf die Keramik übertrug. Knochen im Stall, in der Nacht der Invasion. Knochen im Palast. Knochen in der Nähe des Tores, und Blut, jede Menge Blut. Dann verschwinden zwei Männer, zwei verläßliche Männer am gleichen Tag, spurlos. Ebenfalls am gleichen Tag findet man im Tabernakel Knochen, aber niemand wird vermißt. All diese Einzelheiten hingen zusammen, aber er wußte nicht genau, wie.
»Und ihr habt gestern nichts Eigenartiges gesehen? Nichts, was euch auch nur im geringsten beunruhigt hätte?«
»Bitte um Vergebung, Hoheit.« Charissa machte noch einen Knicks und hielt ihr gerötetes Gesicht gesenkt. »Ich würde mich gerne unter vier Augen mit Euch unterhalten. Ich habe ein paar Dinge gesehen. Aber das würde ich lieber nicht hier
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