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Fey 02: Das Schattenportal

Fey 02: Das Schattenportal

Titel: Fey 02: Das Schattenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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wie ein Bittsteller in die Hocke. Er nahm ihre Hand. Die seine war von der Arbeit, die er in den Schattenlanden verrichtet hatte, ganz warm und rauh. »Wir wissen nicht immer, was wir tun können«, sagte er. »Manchmal finden wir erst heraus, wie wir eine Vision abwenden können, wenn es bereits zu spät ist. Manchmal mißverstehen wir die Vision. Deshalb bitten wir normalerweise um eine Auslegung. Vielleicht sollten wir deine Vision der Schamanin unterbreiten.«
    Sie schüttelte den Kopf. Sie ging der Schamanin so gut sie konnte aus dem Weg. »Sie kommt mir sehr unmißverständlich vor.«
    »So ging es mir mit meiner Vision von dir, in der du im Palast der Insel umhergingst, als gehörte er dir. Setzt man sie jedoch mit deiner Vision in Verbindung, ergibt sich eine völlig andere Bedeutung.«
    Jewel verzog das Gesicht und preßte seine Finger zusammen. »Wie meinst du das?«
    »Befindest du dich wegen des jungen Prinzen im Palast?« fragte Rugar. »Oder weil sie dich dort festhalten und du nicht wegkannst?«
    »Wurde ich in deiner Vision festgehalten?«
    Er schüttelte den Kopf. »Du sahst wie deine Mutter aus, königlich und sehr schön.«
    Sie zuckte die Achseln. »Auf welche Weise könnten unsere Visionen zusammenhängen? Und falls sie zusammenhängen, bedeutete das, daß wir ein Gegenmittel für das Gift gefunden haben?«
    »Gut möglich«, brummte Rugar. »Aber ich vertraue nicht mehr so leicht auf die Einfachheit dieser Dinge, wie ich es früher einmal getan habe.«
    Jewel dachte über seine Worte nach. Dann senkte sie den Kopf. »Hatte Großvater jemals eine Vision in bezug auf diesen Ort?«
    Rugar ließ ihre Hand fallen und erhob sich. »Dein Großvater ist am Ende seiner Visionen angelangt.«
    »Ist er blind?« fragte Jewel.
    Rugar nahm den Schürhaken in die Hand, zog den Kaminrost nach vorne und schob ein Holzscheit zur Seite, damit das Feuer mehr Sauerstoff bekam. Als er noch ein dickes Scheit auflegte, fingen die Flammen an zu prasseln.
    »Du wußtest, daß er blind ist, und hast ihn trotzdem zurückgelassen?« fragte Jewel. »Du läßt ihn ohne Vision regieren?«
    »Die meisten Schwarzen Könige besitzen am Ende ihrer Tage keine Vision mehr.« Rugar schob den Rost wieder zurück.
    »Hat er sich deshalb gegen diesen Kriegszug gestellt? Weil er auf dein Auge angewiesen ist?«
    Rugar lachte. »Aber nein, mein Kind. Ihm stehen andere Augen zur Verfügung, weniger bedeutende Seher. Er weiß, so wie auch ich es weiß, daß ein Mann seiner eigenen Vision folgen oder sie verändern muß. Seine Vision führte ihn nach Nye. Meine führte mich hierher.«
    »Aber wenn er nicht mehr Sehen kann …«
    »Kann er immer noch regieren. Niemand regiert allein aufgrund seiner seherischen Kraft. Er führt, er weist den Weg mit Hilfe der Vision. Sobald er diese Vision verwirklicht hat, bleibt er dabei. Selbst wenn mein Vater in seinem Leben nichts anderes mehr tut, wird man sich seiner als des erfolgreichsten Schwarzen Königs aller Zeiten erinnern. Er hat für uns das restliche Galinas erobert. Er hat uns die Herrschaft über die halbe Welt verschafft.« Rugar stand auf und lehnte sich an den steinernen Kamin.
    Jewel sah auf ihre Hände mit den Schwielen und den kurzen, stummelhaften Fingernägeln. »Verlierst du deine Vision?« fragte sie leise.
    »Wie kommst du denn darauf?« Seine Stimme hatte einen Ton angenommen, den er sonst nur gegenüber seinen Truppen anschlug.
    Sie wollte ihm nichts von Caseo erzählen. Warum nicht, das wußte sie selbst nicht recht. Ganz gewiß hatte sie keinen Grund dafür, ihn zu schützen. Aber sie hatte das Gefühl, als schütze sie alle, indem sie nicht preisgab, wer sie auf diesen Gedanken gebracht hatte. »Es scheint mir logisch zu sein, darüber nachzudenken. Wenn Großvater seine Vision verloren hat, weshalb nicht auch du.«
    »Nicht alle Seher werden blind«, sagte Rugar. »Und nicht alle erleben das Ende ihrer Visionen.«
    »Ich habe gehört, daß einige falsche Visionen haben und daß sie das in den Wahnsinn treibt.« Die letzten Worte hatte sie sehr leise ausgesprochen. Sie hatte es in der Schule von einem ihrer vielen Lehrer gehört, als sie noch ein Mädchen war. Als ein anderer Lehrer davon erfahren hatte, war Jewels Lehrer entlassen worden. Jewel sah ihn nie wieder. Inzwischen konnte sie sich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern.
    Rugars Wangen waren gerötet. »Ich habe Hüter des Zaubers gesehen, die sich eines einzigen Fehlers wegen in sabbernde Idioten verwandelten.

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