Fey 02: Das Schattenportal
nicht der einzige war, der Probleme mit dem Weihwasser gehabt hatte. Eine ganze Gemeinde in der Nähe der Blutklippen hatte eigenartig auf das Weihwasser des Rocaan reagiert. Damals hatte er geglaubt, es läge daran, daß seine Mixtur auf den alten Rezepten beruhte, wohingegen seine Vorgänger das Weihwasser ohne Seze hergestellt hatten. Sie waren der Meinung gewesen, der Roca hätte nichts von Seze gewußt, einem Gewürz, das nur in den Sümpfen von Kenniland wuchs, weshalb sie es für eine später entstandene Art hielten. Der Rocaan war ein Purist, und da er keinerlei Hinweise darauf besaß, daß der Roca es nicht gekannt hatte, kehrte er zu dem Originalrezept zurück. Sobald sein Rezept bis an die entlegeneren Stellen des Eilands vorgedrungen war, meldeten die nahe der Blutklippen gelegenen Städte Hautausschlag nach dem Mitternachtssakrament.
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte er. »Ich glaube, wir erteilten Euch die Erlaubnis, Handschuhe zu tragen.«
»Richtig, Heiliger Herr. Trotzdem fällt manchmal der eine oder andere Tropfen auf die nackte Haut, und dann bilden sich sofort wieder Bläschen. Beim letzten Mal war es so schlimm, daß der Älteste Vaughn einen Arzt kommen ließ.«
Davon war nichts an die Ohren des Rocaan gedrungen. »Was war schlimm?«
»Die Bläschen breiteten sich auf meinem ganzen Arm aus und taten so weh, daß ich es kaum mehr aushalten konnte. Der Arzt verschrieb mir eine Salbe, woraufhin es mir wieder besserging.«
Der Rocaan nickte. Wie merkwürdig. Er hatte allen Gemeinden in der Nähe der Blutklippen erlaubt, Handschuhe zu tragen. Ob sich ihre Symptome auch verschlimmert hatten? Davon hätte er doch zweifellos etwas mitbekommen.
»Und was hat das alles mit dem heutigen Abend zu tun?« fragte der Rocaan. Armer Reece. Der Rocaan würde ihn nie in die engere Wahl für den nächsten Rocaan ziehen. Bevor Reece auch nur eine einzige Entscheidung gefällt hätte, wäre die Versammlung darüber alt geworden und gestorben.
»Ich habe mir ein halbes Fläschchen Weihwasser über den Unterarm geschüttet, Heiliger Herr.« Reece schob den Ärmel zurück und streckte den Arm aus. Die Haut war blaß und mit Sommersprossen sowie kurzen blonden Härchen übersät. »Aber es machte mir überhaupt nichts aus.«
Der Rocaan berührte Reeces Arm. Die Haut war glatt. »Vielleicht zeigen sie sich erst später.«
»Sie haben sich immer noch vor Ende des Sakraments gezeigt, Heiliger Herr. Beim letzten Mal sogar so rasch, daß ich glaubte, mein ganzer Arm stehe in Flammen.«
Der Rocaan packte Reece am Ellbogen. »Helft mir auf.« Reece packte ebenfalls zu und zog. Der Rocaan stand. Sein Herz hämmerte. Was er soeben gehört hatte, war genau das, wovor ihn Jung-Nicholas gewarnt hatte. »Bist du sicher, daß die Flasche Weihwasser enthielt?«
»Ein Danite gab sie während der Messe durch, Heiliger Herr. Andre zog die Flaschen unter dem Altar hervor. Vor der Messe hat ein Aud sämtliche Flaschen ausgetauscht. Ich nehme an, auf Eure Anweisung hin. Wir hatten darüber gesprochen, daß alles Wasser ausgewechselt werden müsse.«
»Das stimmt«, sagte der Rocaan und ließ Reeces Arm los. Seine Handflächen waren schweißbedeckt. Er hatte das Weihwasser vorschriftsmäßig zubereitet … Das hieß, Matthias hatte nicht vorschriftsmäßig gehandelt! Außerdem hatte Matthias eine der Blutlachen entdeckt. Genau wie bei den vermißten Personen im Palast.
»Bringt mich in mein Zimmer«, sagte der Rocaan.
»Sehr wohl, Heiliger Herr.« Reece legte einen Arm um ihn und stützte ihn. Der Rocaan stützte sich auf ihn, doch seine Gedanken waren seinem Körper schon weit voraus. Er würde eine neue Flasche mit Weihwasser machen. Und dann mußte er Matthias wecken.
Diese Angelegenheit würden sie ein für allemal zwischen sich regeln.
16
Der Nebel, den die Wetterkobolde geschaffen hatten, überzog das gesamte Schattenland mit einem feuchten Film. Auch die Luft war ungewöhnlich kühl. Der unheimliche Boden, der unter dem grauen Schleier nicht richtig sichtbar wurde, war glatt wie frisch verlegter Marmor. Jewel rutschte einmal aus und fing sich gerade noch, bevor sie die Fackel, die sie in der Hand hielt, fallen gelassen hätte. Danach ging sie so vorsichtig wie möglich weiter und hoffte, ihr Vater würde bald ein ernstes Wörtchen mit den Kobolden reden, damit sie derlei Experimente in Zukunft unterließen.
Ein eigenartiger Zauber, dieses Schattenland. Normalerweise schufen die Kobolde Regen ohne große
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