Fey 02: Das Schattenportal
sehr schnell, wie eine Regenwolke, die sich in ein Gewitter verwandelt.
Und dann stand die Frau vor ihr, dort, wo eben noch die Katze gestanden hatte. Sie war nackt. Eleanora schrie auf, und Coulter klammerte sich noch fester an sie. Die Frau streckte die Hände nach Coulter aus, packte ihn um die Hüfte und zog an ihm. Eleanora trat nach ihr, doch die Frau schlang ihr Bein um das, mit dem Eleanora ihr Gleichgewicht wiederhergestellt hatte, und riß Eleanora zu Boden.
Noch im Fallen legte sie die Arme eng um Coulter, in der Hoffnung, ihn so schützen zu können. Sie spürte die Hände der Frau unter ihren Oberarmen, spürte die Wärme auf ihrer Haut. Als Eleanora auf dem Boden aufprallte, wich die Luft aus ihrem Körper, und sie hörte ein Knacken. Ihre Arme lösten sich, und die Frau zog an Coulter. Er schrie auf und krallte sich an Eleanora.
Eleanora schrie: »Nein!«, doch die Frau löste die Hände des Kindes und zog es weg. Er trat nach ihr und fing laut zu jaulen an: »Mamaaaa!« schrie er mit hoher, durchdringender Babystimme. »Mamaaaa!«
Rings um sie herum gingen Türen auf. Sie hörte Helters Stimme durch die eigenen Schreie hindurch. Sie versuchte aufzustehen, doch es gelang ihr nicht. Ein stechender Schmerz durchbohrte ihre Brust, ein anderer stach in ihrem rechten Bein. Sie schrie um Hilfe.
Die Frau barg Coulter an ihrer Brust, auf die gleiche Weise, wie es Eleanora getan hatte. Sie drückte sein Gesicht gegen die nackte Schulter, erstickte seine Schreie. Er hielt sich nicht an ihr fest. Seine Ärmchen ragten links und rechts von ihrem Hals in die Luft, die Finger ins Leere gekrallt.
»Sie raubt mir Coulter!« schrie Eleanora. »Helft mir doch!«
Helter kam die Stufen herabgerannt, und sie hörte, daß andere ihm folgten. Die Frau warf Eleanora einen raschen, mitleidvollen Blick über die Schulter zu, dann rannte sie mit großen Sätzen über die Lichtung davon.
Coulter schrie sein hohes, zorniges Schreien. Eleanora stützte sich ungeachtet der Schmerzen auf die Ellbogen. »Nein!« schrie sie. »Er gehört mir!«
Doch die Frau schien sie nicht zu hören, oder falls doch, machte sie sich nichts daraus. Mit der Geschwindigkeit einer Katze überquerte sie die mondbeschienene Wiese. Die Männer folgten ihr in großem Abstand.
»Haltet sie auf!« rief ihnen Eleanora nach, doch keiner schien die Frau einholen zu können. Als sie den Rand der Lichtung erreicht hatte, riß Coulter sein Köpfchen von ihr los. Er schrie nach Eleanora, den Blick starr auf sie gerichtet, die Händchen nach ihr ausgestreckt.
Dann sprang die Frau mit großen Sätzen in den Wald, und Eleanora konnte Coulter nicht mehr sehen.
Die Männer rannten hinter der Frau her, ihre Füße brachen krachend durchs Unterholz. Sie hörte ihre Füße in der Ferne knacken. Die Frau konnte sie wahrscheinlich noch besser hören. Sie würden sie niemals einholen.
Eleanora ließ sich wieder auf den Boden sinken, die Kehle heiser vom Schreien, das Gefühl von Coulters angsterfülltem Klammergriff noch immer um den Hals. Laß ihn nicht sterben, betete sie zu wem auch immer. Nicht nach allem, was er durchgemacht hat. Bitte. Laß ihn nicht sterben.
18
Rugar mußte zugeben, daß die Szene ergreifend war. Er stand am Zugang zum Schattenland, unweit des Versammlungsblocks; Jewel und Burden standen neben ihm, ihnen gegenüber zwei Domestiken und in der Nähe des Tores vier Infanteristen. Der junge Gefangene stand direkt vor dem Tor, sein Vater neben ihm. Rugar war sich noch immer nicht sicher, ob er Jewels Abmachung gutheißen sollte. Seiner Meinung nach hätten sie die Information auch auf andere Weise bekommen, aber ihr Trumpf war, daß sie sie eben noch nicht hatten. Ihrer Meinung nach war es besser, über eine Quelle innerhalb des Schattenlandes zu verfügen, insbesondere eine, die einen Grund dafür hatte, ehrlich zu sein.
Jewel sah mitgenommen aus. Schon seit Wochen machte sie einen übermüdeten Eindruck und beklagte sich über das graue Einerlei der Schattenlande, aber die letzten paar Tage hatten einen besonderen Tribut gefordert. Die Auseinandersetzung mit Caseo und die Arbeit mit den Gefangenen hatten sie erschöpft, und die vergangene Nacht, die sie in der Gesellschaft der Domestiken und Hüter des Zaubers zugebracht hatte, um dafür zu sorgen, daß der Junge die richtigen Verbindungen zum Schattenland verpaßt bekam, hatten ihr übriges dazu getan.
Der Zauber hörte sich gut an. Die Sprüche hatten ihn ausreichend verzaubert
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