Fey 02: Das Schattenportal
sehen. Und für ein Baby, das hinter einer geschlossenen Tür plapperte, hörte sich Coulter schrecklich laut an.
Sie strich die grauen Haarsträhnen aus dem Gesicht, sorgsam darauf bedacht, daß sie nicht zu fest daran zog. In den letzten Jahren war ihr Haar so dünn geworden, und sie haßte es, zwischen den Strähnen die Kopfhaut zu fühlen. Manchmal fragte sie sich, ob sie wohl lange genug leben würde, um Coulter großzuziehen. Sie betete darum. Er brauchte jemand, der ihn liebte, jemand, der für ihn sorgte. Und sie brauchte in diesen letzten Jahren ihres Lebens das Gefühl, zu etwas nutze zu sein.
Coulter lachte wieder. Dann war es sicherlich kein Traum. Wahrscheinlich spielte das Baby mit der Katze.
Eleanora schwang die Füße von der Bettstatt, die Helter für sie gezimmert hatte, und rückte das Nachthemd zurecht. Mitten in der Nacht war es kalt in der Hütte, denn sie hatte das Feuer ausgehen lassen. Deshalb packte sie das Baby immer gut in Decken ein und sah zu, daß es die Nacht über gut warm hatte. Das Spielen im Mondschein war keinesfalls geplant.
Und doch ließ sie der Gedanke daran lächeln. Sie freute sich darüber, daß Coulter ein so glückliches Kind geworden war, denn das hieß, daß sie wenigstens etwas richtig machte.
Die Holzdielen waren kalt. Eleanora spürte den Schmerz in den Knochen, der nach und nach immer vertrauter geworden war. Sie aß jetzt zwar wieder recht gut, doch in gewisser Hinsicht bereitete ihr das noch mehr Schmerzen, als drückte das zusätzliche Gewicht ihres Körpers noch mehr auf die Knochen.
Die Dunkelheit im Zimmer kam ihr eigenartig vor. Es dauerte einen Augenblick, bis sie herausgefunden hatte, woran das lag. Ihre Tür war zu. Sie machte nachts nie die Tür zu ihrem Zimmer zu.
Sie ging über den Flickenteppich und öffnete sie. Die Tür zu Coulters Zimmer stand offen, und sie hörte ihn wieder in die Hände klatschen, und zwischen seinem Kichern machte sich ein Schluckauf bemerkbar.
So etwas hatte er noch nie zuvor getan.
Ein kalter Schauer überlief sie, und sie versuchte sich einzureden, daß er allein von der kühlen Nachtluft herrührte. Aber irgend etwas stimmte hier nicht.
Die Hütte war zu klein für einen richtigen Flur. Ihre Tür führte direkt in den Wohnraum, von dem aus auch Coulters Tür zu seinem Zimmer abging. Es gab keine Möglichkeit, daß die Katze zufällig die eine Tür hätte schließen und die andere öffnen können. Und Coulters Bett war dank Helter mit einem Holzgitter versehen. Der Junge hatte das Bett nicht verlassen können.
Beinahe hätte sie seinen Namen gerufen, doch dann besann sie sich eines Besseren. Es hatte keinen Sinn, den Jungen zu erschrecken, schon gar nicht, wenn er sich so zufrieden anhörte. Leise betrat sie sein Zimmer und erstarrte.
Das Mondlicht drang durch das Fenster herein und ließ das Zimmer beinahe so hell wie am Tage erscheinen. Coulter stand in seinem Bettchen, die Hände durch das Schutzgitter gestreckt. Er drehte sich zu Eleanora um und lächelte sie mit vor Freude strahlendem Gesicht an.
Neben seinem Bett stand eine Frau. Sie trug ein für sie viel zu kurzes Hemdchen. Sie war barfuß, und ihr Haar hing ihr bis zur Mitte des Rückens herab. Sie war groß, schlank und außergewöhnlich anmutig.
Eleanora mußte ihr nicht in die Augen sehen, um zu wissen, daß sie eine Fey war.
»Geh weg von meinem Kind«, sagte Eleanora.
Coulters Kindergesicht verzog sich. Offensichtlich wußte er nichts mit dem unterschwelligen Zorn in Eleanoras Stimme anzufangen.
»Oh?« Die Stimme der Frau klang leicht, luftig und musikalisch. »Ist das dein Kind? Ich wußte nicht, daß die Inselbewohner in so hohem Alter noch Kinder bekommen können.«
»Er ist mein Kind«, erwiderte Eleanora und ging mit geballt an ihrer Seite herabhängenden Fäusten ins Zimmer. Der Tod von Coulters Eltern verfolgte sie noch immer in ihren Alpträumen. »Deine Leute haben seine Familie getötet, und ich habe ihm das Leben gerettet. Ich habe mich um ihn gekümmert. Er gehört mir.«
Coulters Schluckauf meldete sich wieder, und er schob die Unterlippe nach vorne. Jetzt würde er gleich zu weinen anfangen.
»Ich finde, er ist etwas ganz Besonderes«, sagte die Frau.
»Allerdings«, nickte Eleanora und machte noch einen Schritt. Sie wußte nicht genau, was sie tun sollte. Die Frau war jung und drahtig, und da sie obendrein eine Fey war, konnte sie sie womöglich mit einer bloßen Berührung töten. »Rühr ihn nicht an.«
Die Frau lachte,
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