Fey 03: Der Thron der Seherin
zurück. Wegen ihres Bauches wand sie sich vorsichtig zwischen den Spielsachen, Stühlen und Tischen bis zu ihrem Sohn hindurch. Sie hielt sich an einem Stuhl fest, ging in die Knie und umschloß seine kleine Hand mit ihrer.
Seine Haut war ganz kalt.
Und hart. Jewel hatte immer gedacht, Kinderhaut müsse zart und weich sein. Der Mangel an Sonne in seinem Leben – und seine gemischte Abstammung – verliehen seiner Haut ein stumpfes Grau. Langsam wandte er den Kopf und sah sie an. Er war so ernst wie ein Achtzigjähriger.
»Mutter«, brachte er in Inselsprache hervor, eines der wenigen Worte, die er beherrschte.
»Hallo, mein Kindchen«, sagte Jewel und fuhr mit der Hand über seine harte, glatte Wange. Sie wünschte, er würde ihre Zärtlichkeiten nur einmal erwidern, ihr etwas von der Wärme schenken, die ein Kind für seine Eltern empfinden sollte. Aber sie mußte zugeben, daß auch ihre eigene Wärme ihm gegenüber durch sein seltsames Verhalten geschwunden war. Sie suchte in ihren Gefühlen, aber die Liebe, früher ein so wesentlicher Teil ihrer Persönlichkeit, war verschüttet. »Was hast du gerade gemacht?«
Das Achselzucken des Kindes war ebenso langsam wie alle seine Bewegungen. Sebastian besaß keinerlei Anmut, nicht die Impulsivität anderer Kinder, keine Neugier, keine Schnelligkeit. Nicholas betrat die Kinderstube nicht mehr. Er konnte Sebastians Anblick und das Wissen, daß dieser Sohn eines Tages das Königreich regieren würde, nicht ertragen.
»Wie geht es Eurem Herzen heute, Herrin?« erkundigte sich die Kinderfrau.
Jewel preßte die flache Hand auf den Zwischenraum zwischen ihrer linken Brust und dem gewölbten Bauch. »Es schmerzt immer noch«, sagte sie.
In den letzten Tagen hatte Jewel das Gefühl, ihr Herz sei leer. Die Inselheiler machten ihre Schwangerschaft für die unaufhörlichen Schmerzen verantwortlich, aber Jewel glaubte ihnen nicht. Vor drei Tagen hatte sie morgens einen scharfen, bohrenden Schmerz gespürt, so heftig, daß sie in die Knie gegangen war und Nicholas’ Berater nach den Heilern geschickt hatte. Dann ließ der Schmerz, so schnell wie er gekommen war, nach, und nur ein dumpfes Pochen blieb zurück.
Die Inselheiler hatten gemeint, das Pochen bedeute, daß sie krank sei, und ihr Bettruhe verordnet. Jewel hatte noch nie Ruhe nötig gehabt. Die Inselbewohner hatten keine Ahnung von den Fey. Fey-Frauen schonten sich nie während der Schwangerschaft und zogen sogar, die Kinder auf den Rücken gebunden, in den Krieg. Nur weil sie jetzt in der Festung der Inselbewohner lebte, bedeutete das noch lange nicht, daß Jewel sich wie ein schwaches Inselweib aufführte.
»Vielleicht solltet Ihr ein wenig ruhen«, schlug die Kinderfrau freundlich vor.
Jewel würdigte sie keiner Antwort. Statt dessen drückte sie Sebastians Hand. Sein antwortender Druck folgte nach kurzem Zögern, kräftig und beinahe schmerzhaft. »War er heute morgen irgendwie anders als sonst?«
»Nein, Herrin.« Diese Unterhaltung führten sie nun schon seit drei Jahren, seit Sebastians Taufe. Jewels Vater, Rugar, hatte seine Tochter gewarnt, daß ein Inselname das Kind seiner magischen Kräfte berauben könne. Aber Jewel hatte einen Handel mit Nicholas geschlossen. Konnte Nicholas beweisen, daß die früheren Träger von Sebastians Namen große Männer gewesen waren, würde er den Kampf um den Namen gewinnen. Alle früheren Sebastians waren mächtige Könige gewesen. Das wünschte Jewel auch ihrem eigenen Kind. Sie hatte zugestimmt.
Und seit ebendiesem Tag hatte Sebastian keinerlei Interesse mehr an seiner Umwelt gezeigt. Aus einem helläugigen, lebhaften Säugling war im Verlauf eines einzigen Tages ein teilnahmsloses, lethargisches Kind geworden. Verzweifelt hatte Jewel ihn zu Burdens Kolonie in Jahn gebracht. Kurz nach ihrer Hochzeit hatte Burden eine Fey-Siedlung innerhalb der Grenzen der Hauptstadt gegründet. Viele Fey waren von Rugar enttäuscht und hofften, Jewels Heirat mit Nicholas werde ihr Schicksal wenden. Aber die Siedlung war ebenso ein Gefängnis wie das Schattenland, nur auf andere Art.
Als Burden die Schattenlande verließ, hatte er nur wenige Domestiken mitgenommen, und diejenigen, die ihm gefolgt waren, besaßen keine großen Heilkräfte. Sie hatten Jewel mitleidig angesehen, als hätte sie etwas nicht verstanden, und dann hatten sie gesagt, Sebastian sei kein normales Kind. Soviel hatte Jewel auch vorher gewußt. Sie erklärten, wenn Jewel sich weiterhin weigere, ins Schattenland
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