Fey 03: Der Thron der Seherin
Körper ihres Sohnes gebeugt.
Er breitete die Arme aus und ließ sich auf Gabe fallen. Ein heller Lichtschein schloß sich wie ein Band um die beiden kleinen Körper, und einen Moment lang blickte Niche in diesen Schein. Sie sah zwei erwachsene Männer, einer schlank, schön und dunkel, der andere von kleiner Statur, bleich und blond, die unweit der Brücke von Jahn am Cardidas standen. Dann löste sich das Bild auf.
Plötzlich landete Wind neben ihr und verwandelte sich unverzüglich aus dem Funken in einen erwachsenen Mann. »Die Schamanin ist nicht hier.«
Niche schluckte. Wie gebannt hatte sie den Blick auf ihren Sohn geheftet. »Ich weiß.«
»Auch sonst ist zur Zeit kein anderer Heiler im Schattenland. Wir sind auf uns allein gestellt.«
Niche nickte in die Richtung des Jungen hinüber. »Er ist gekommen.«
Das Licht um Coulter erlosch langsam, aber rings um Gabe leuchtete es immer noch. Sein krampfhaftes Zucken hatte aufgehört. Das schweißnasse Haar klebte am Kopf des Jungen, aber er hatte den Mund geschlossen, und der Speichel rann ihm nicht mehr über das Kinn. Er hatte die Hände an die Seite gelegt, seine Füße waren entspannt und die Augen geschlossen. Es sah aus, als schliefe er. Wie dünne Fäden wanden sich leuchtende Lichtbänder um ihn, Fäden, die ihn zusammenzuhalten und zu schützen schienen.
Mit zitternden Händen strich sich Coulter einige Strähnen aus der flachen Stirn. »Wer ist die sterbende Frau?« fragte er Niche.
Sie runzelte überrascht die Stirn. »Hier ist keine Frau.«
»Die Frau, um die die Schamanin sich gerade kümmert. Sie trägt sonderbare Kleidung, aber sie sieht aus wie eine Fey.«
»Jewel«, hauchte Wind. Er blickte verständnislos zu Niche hinüber, aber Niche hatte alles begriffen.
Die sterbende Frau. Jewel war zu jung, um auf natürliche Weise zu sterben. »Sie ist seine richtige Mutter.«
»Ach so«, sagte Coulter. Er zog die Knie an die Brust und umschlang sie mit den Armen. Wäre nicht der Ausdruck von Weisheit in seinen Augen gewesen, hätte man ihn für einen kleinen, neugierigen Jungen halten können. »Jetzt ist klar, daß niemand die Verbindung zwischen Gabe und seiner Mutter gelöst hat.«
Niches Flügel pochten schmerzhaft. »Die Verbindung gelöst …?«
»Bei seiner Geburt wurde sie von Inselbewohnern versorgt, erinnerst du dich nicht?« sagte Wind.
»Sie ist durch ihre Verbindung zu ihm gekommen«, sagte Coulter. Niche fragte sich, woher er das alles wußte, aber er sprach darüber, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. »Sie hat versucht, ihn zu retten, während sie starb. Aber sie hielt ihn für das falsche Kind, und als sie begriffen hatte, daß er ihr Sohn war, war sie bereits gestorben.«
Niche blickte zu Gabe hinüber. Schimmernd lag sein Körper in den Lichtbändern. »Also ist er jetzt tot?« fragte sie flüsternd.
Coulter lächelte. »Ich habe die Verbindung gelöst. Er ist in Sicherheit.«
»Er lag im Sterben, weil sie starb?« fragte Niche ungläubig.
Coulter nickte. »Aber er wird weiterleben.« Er erhob sich und strich seine Hose glatt. »Jedenfalls solange ich lebe.«
22
Immer mehr Fey drängten sich in die Küche. Jewels Griff um Nicholas’ Hand wurde immer schwächer. Ihre Finger waren kalt, und er war sich nicht mehr sicher, ob sie noch atmete. Die Schamanin hatte ihre Hände jetzt von Jewels Gesicht genommen und sie auf ihren Leib gelegt. Um die Finger der Schamanin leuchtete ein schwacher Lichtschein.
Das Küchenpersonal hielt sich in respektvollem Abstand. Rugar war neben Jewel auf die Knie gesunken, aber die Schamanin ließ es nicht zu, daß er sie berührte. Nicholas schwieg und versuchte, Jewel seine ganze Liebe durch seine Finger zu senden.
Sie mußte einfach leben.
Sie mußte.
Ohne sie würde er nicht weiterleben können.
Die Wunde auf ihrer Stirn hatte sich bis zu ihren Brauen ausgebreitet. Sie schmolz immer noch, wie jeder Fey, der Weihwasser berührte, aber der Prozeß ging viel langsamer als sonst vonstatten.
Er wußte nicht genau, wie Matthias es gemacht hatte. Aber das war auch unwichtig. Nicholas selbst hatte darauf bestanden, daß Jewel mit ihm gemeinsam an der religiösen Zeremonie teilnahm. Er allein trug die Verantwortung.
»Komm zurück zu mir, Jewel«, bat er leise.
Alle Fey in Jewels Nähe beugten sich jetzt über ihren Leib. In der Nähe des Feuers saß eine goldfarbene Katze, leckte sich die Vorderpfoten und fuhr sich damit über die Schnurrbarthaare. Die Küche
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