Fey 03: Der Thron der Seherin
mit seiner kleinen Hand. Der Griff war überraschend fest.
»Blaue Augen«, sagte Lord Stowe.
Nicholas nickte.
»Ich glaube, ich habe mich inzwischen an die Fey gewöhnt«, sagte Stowe. »Es hat mich überrascht.«
Ein verhaltenes zärtliches Lächeln glitt über Nicholas’ Gesicht. »Sie gleicht ihrer Mutter.«
»Ja, allerdings«, sagte Stowe. Ihre Haut war dunkler als seine und sehr weich.
Langsam ebbte das von Schluckauf unterbrochene Schluchzen Sebastians ab. Nicholas sah über die Schulter zu seinem Sohn. Die Kinderfrau hielt schützend ihre Hand um den Kopf des Jungen.
»Seit gestern hat er fast ununterbrochen geweint«, sagte Nicholas.
»Viel mehr hat er in seinem Leben bisher nicht getan«, ergänzte die junge Frau leise. »Armer kleiner Kerl.«
Die Katze hatte sich aufgesetzt und gähnte. Dann tappte sie zum Fenster, strich um Nicholas’ Beine, blickte Stowe an und miaute leise.
»Solanda«, sagte Nicholas mit strenger Stimme.
»Eine Katze mit einem Fey-Namen?« Stowe war überrascht. »Ich dachte, Katzen seien nicht mehr erlaubt.«
»Ich habe den Erlaß heute morgen aufgehoben.« Nicholas strich seiner Tochter über das Haar.
»Ihr habt doch damals von der Katze gehört, die ein Kind gestohlen hat?« fragte Stowe. »Man sagt, sie habe ausgesehen wie diese hier.«
Die Katze stieß den Kopf gegen Nicholas’ Beine und schnurrte.
»Jewel hat mir alles erklärt«, sagte Nicholas. »Die Katze ist keine Gefahr für uns.«
»Woher wißt Ihr das?« forschte Stowe.
»Ich weiß es einfach«, antwortete Nicholas.
Das kleine Mädchen hatte jetzt den Griff um Stowes Finger gelöst und gab leise, schmatzende Geräusche von sich. Er berührte seine Wange. Die Haut war zart und flaumig.
»Sie ist hübsch«, stellte Stowe fest.
»Ja.« Der Stolz in Nicholas’ Stimme war nicht zu überhören. »Ihr klingt überrascht.«
Stowe seufzte. Der Moment war gekommen. »Nicholas, Ihr habt in dieser Woche viel gelitten. Wenn Ihr wollt, daß ich Euch später noch einmal aufsuche, verstehe ich es nur zu gut.«
Nicholas schüttelte den Kopf. »Ihr habt wichtige Neuigkeiten. Sonst wärt Ihr nicht direkt zu mir gekommen.« Die Ringe unter seinen Augen waren so tief, daß die Haut wie gefaltet aussah. In seine blonden Locken hatten sich erste graue Strähnen gemischt. Er war noch keine dreißig und hatte in dieser Woche schon mehr mitgemacht als andere Menschen in ihrem ganzen Leben.
»Die Neuigkeiten können warten«, erwiderte Stowe.
»Ich möchte lieber alles gleich erfahren«, sagte Nicholas. »Ich will wissen, worauf ich mich einzustellen habe.«
Stowe konnte nicht einschätzen, ob Nicholas genug Kraft dafür hatte oder ob er lediglich so tat. »Der Wachtposten hat mir gesagt, daß der Rocaan die Schuld an allem trage. Stimmt das?«
Nicholas nickte und wandte den Kopf zum Fenster. Vom Kinderzimmer aus konnte man die Brücke und die darunterliegenden Türme des Tabernakels sehen. »Ich habe noch keinen Entschluß gefaßt, wie ich vorgehen werde. Gestern habe ich ihm mit dem Tod gedroht.«
»Wißt Ihr, warum er es getan hat?«
Bevor er antwortete, fuhr sich Nicholas mit der Zunge über die Lippen. Seine kleine Tochter beobachtete Stowe. Ihre Augen waren von einer Intelligenz erfüllt, wie Stowe es noch niemals bei einem so winzigen Wesen gesehen hatte. »Er hat es getan«, antwortete Nicholas schließlich, »weil er glaubte, ich sei auf dem falschen Weg. Er wollte, daß ich Jewel verstoße, mich von den Kindern lossage und einen neuen Anfang mache. Er dachte, Arianna würde … wie Sebastian werden.«
Arianna. Ein Fey-Name. Stowe verkniff sich eine Bemerkung. »Ich erinnere mich, daß auch Sebastian in den ersten Tagen recht aufgeweckt war.«
»Irgend etwas hat ihn verändert.« Nicholas warf der Katze einen Blick zu. »Einige glauben, sein Fey-Großvater hat ihm etwas angetan, aber Jewel war davon überzeugt, daß es während der Taufzeremonie passiert sein muß. Für Arianna wird es keine Zeremonie geben. Sie trägt ihren Namen bereits.«
Einen Fey-Namen. Sie gaben dem Namen die Schuld an Sebastians Zustand. Eine eigenartige, aber interessante Schlußfolgerung. »Ihr wolltet Jewel also nicht verstoßen?«
»Sie ist … war meine Frau. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, sie zu verstoßen.« Nicholas drehte sich wieder zu Stowe um. »Selbst wenn ich daran gedacht hätte, wäre es falsch gewesen. Die Fey hätten sich gegen diese Entscheidung aufgelehnt. Der Krieg hätte von neuem begonnen, und das
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