Fey 03: Der Thron der Seherin
führte, was sie eigentlich von Nicholas wollte.
Vielleicht war sie die ganze Zeit über ehrlich gewesen.
Dann bemerkte er, daß etwas fehlte. »Was ist mit dem Kind geschehen?«
»Die Fey, Herr. Sie sind erst gegangen, als es geboren war. Hab’ gehört, es soll ein häßliches Ding sein. Ein Ungeheuer, kein Mensch.«
Stowe schloß die Augen. Noch eines. Armer Nicholas. Er hatte jetzt beinahe Angst davor, mit dem neuen König zusammenzutreffen. Der Junge mußte ja halb durchgedreht sein. Und wenn das der Fall war, mußten die Ratsherren einen neuen Regenten ernennen. Sie mußten wissen, wie es um Nicholas bestellt war.
Am besten sofort.
Stowe ging um Jewels Leiche herum. Sie im Großen Empfangssaal aufzubahren, dort, wo sie und Nicholas ihre Hochzeit gefeiert hatten, inmitten der Waffen und Schwerter, die vom Bauernaufstand oder aus noch früheren Zeiten stammten, schien angemessen. Es paßte zu ihr, zu dieser kriegerischen Königin.
Der Posten warf noch einen letzten Blick auf Jewel und geleitete Stowe dann die Treppe hinauf zum Trakt der königlichen Familie. Sie durchquerten die Galerie und schlugen dann den Weg zu den Gemächern der Königin ein. Stowe warf dem Posten einen beunruhigten Blick zu. Hatte sich Nicholas etwa in Jewels Gemächern verkrochen? Das war kein gutes Zeichen.
Vor der Tür, die zu Jewels Räumen führte, blieb der Wachtposten stehen und klopfte. Als die Kinderfrau öffnete, begriff Stowe. Das Kinderzimmer. Nicholas war im Kinderzimmer.
Aus der geöffneten Tür drangen eine Woge sehr warmer Luft und das erstickte Schluchzen eines Kindes. Die Kinderfrau sah den Posten und Lord Stowe resolut an.
»Er will niemanden sehen«, sagte sie.
»Ich glaube, es ist wichtig. Ich muß mit ihm reden.«
»Er soll hereinkommen«, ertönte Nicholas’ Stimme aus dem Raum. Sie hörte sich fest und selbstsicher an.
Der Posten warf einen Blick in den Raum. »Soll ich jetzt hier warten, Sire?«
»Nein danke«, erwiderte Nicholas. »Geh auf deinen Posten zurück.«
Auch Stowe dankte dem Mann und betrat dann leise das Kinderzimmer. Es war ein großes Gemach. Ein mächtiges Feuer loderte im Kamin, und in der Mitte des Raumes stand eine Wiege. Daneben hockte Sebastian auf dem Boden und schluchzte, als sei sein kleines Herz schon jetzt gebrochen. Die Kinderfrau ging zu ihm, hob ihn hoch und nahm ihn in die Arme.
»Maaaamaaa«, heulte der Junge.
Stowe überlief ein Frösteln. Er hatte bis jetzt nicht einmal gewußt, daß das Kind überhaupt sprechen konnte, ganz zu schweigen davon, daß es in der Lage war, den Tod seiner Mutter zu erfassen.
Im hinteren Teil des Raumes standen bequeme weiche Sofas und Sessel. Ein Bett mit Vorhängen befand sich in einer Ecke. Vor dem Kamin lagen Teppiche. Links und rechts davon standen Sessel, und in dem einen ließ sich jetzt die Kinderfrau mit Sebastian im Arm nieder. Er bewegte sich nicht, aber er weinte immer weiter vor sich hin, klammerte sich an ihr fest und schluchzte erbärmlich.
Nicholas stand neben einem Fenster und blickte hinaus. Er trug seine Kampfkleidung, ein dunkles Hemd und eine dunkle Hose. Auf seinen Armen trug er das neugeborene Kind.
Stowe schloß die Tür hinter sich. Neben dem Kamin richtete sich jetzt eine Katze auf, drehte sich dreimal um sich selbst und rollte sich dann wieder auf dem Boden zusammen. Es war ein goldfarben getigertes Tier. Bevor es sich niederlegte, musterte es ihn mit großen schwarzen Augen.
Als er die Katze sah, überlief ihn ein Schauder. Sie erinnerte ihn an die Frau, die vor Jahren auf sein Landgut gekommen war und behauptet hatte, eine Katze habe ihr Kind gestohlen. Nach diesem Vorfall hatte Alexander alle Katzen von der Insel verbannt.
Nicholas bemerkte Stowes Blick. »Ich erkläre es Euch gleich«, sagte er.
Stowe ging zu Nicholas hinüber. Der Junge sah hundert Jahre älter aus, seine Züge waren hager, die Augen stumpf und dunkel, hatten ihr früheres sprühendes Funkeln verloren. Stoppeln bedeckten sein Kinn, und seine Kleider schlotterten um seine Gestalt.
Das Neugeborene dagegen sah dick und gesund aus. Es hatte ein Fey-Gesicht, hohe Wangenknochen, geschwungene Brauen und einen schmallippigen Mund, sein Kopf war mit schwarzem Haar bedeckt. Es glich auch Nicholas, aber Stowe konnte nicht genau sagen, worin. Er fühlte die Ähnlichkeit nur.
Vorsichtig streckte er die Hand aus und berührte die winzige Faust. Das Kind öffnete die Augen. Sie waren von einem leuchtenden Blau. Dann umklammerte es seinen Finger
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