Fey 03: Der Thron der Seherin
Wachtposten.
»Ich muß zum König«, befahl er.
»Keiner darf den König sehn, seit er rausgekommen is’ und den Tod der Königin bekanntgegeben hat.«
»Nachdem die Fey gegangen sind?« fragte Stowe. Er wollte nicht in den Palast und erst dort erfahren, daß auch Nicholas gestorben war.
»Genau, Herr.«
»Nun, vielleicht wird er sich über die Störung ärgern, aber er muß unbedingt erfahren, was ich ihm zu sagen habe. Weißt du, wo er ist?«
»Tut mir leid, Herr, aber Befehl is’ Befehl. Keiner darf zu ihm.«
»Er wird mich sehen wollen.«
Der Posten warf einen Blick über die Schulter. Es waren keine höhergestellten Wachleute in der Nähe.
»Wenn es sein muß, gehe ich zu Monte«, beharrte Stowe.
»Ich weiß nich’, wo Monte steckt, Herr.«
Stowe wartete. Der Posten trat unruhig von einem Bein auf das andere. Schließlich bedeutete er einem anderen Wachsoldaten näher zu kommen. Als dieser herankam, überreichte er ihm Stowes Waffen.
»Er will den König sprechen. Ich bring’ ihn hin«, sagte der erste Posten.
»Bin ich froh, daß ich da nich’ hin muß«, gab der zweite zurück.
Stowe schluckte. Sein Mund war immer noch wie ausgetrocknet. Er sah sicher furchtbar aus, schlammbespritzt und schweißbedeckt. Er wußte, daß er nicht besser roch als sein Pferd und der faulige Schlamm der Kenniland-Sümpfe. Aber jetzt war keine Minute zu verlieren. In der letzten Woche hatten sich in Jahn größere Veränderungen zugetragen als während der ganzen Zeit seit der Invasion.
Der Wachtposten nickte Stowe zu. »Kommt mit mir, Herr«, sagte er.
Er legte die Hände auf den Rücken und führte Stowe in die Küche. Auf einem der Tische knetete der Koch Teig. Eine Küchenbedienstete hatte den Kopf in den gemauerten Herd gesteckt und kratzte verkohlte Reste von den Innenwänden. In der Küche war es nicht so heiß wie sonst. Im Kamin flackerte zwar ein Feuer, aber die Öfen waren außer Betrieb.
Vor dem Kamin putzten andere Küchenhelfer die Tiegel, auf denen sich dunkle Flecken abzeichneten. Stowe erinnerte sich, wann er das zum letzten Mal gesehen hatte: Zwei Tage nach der Invasion, als die Fey sich zurückziehen mußten, hatten die Inselbewohner sich endgültig darangemacht, das Blut aufzuwischen.
Stowe schwieg, als er durch die Küche geführt wurde. Bevor sie die Anrichte betraten, hob der Wachtposten zwei Finger und bedeutete Stowe zu warten. Stowe drehte sich um und warf noch einen Blick in die Küche. Niemand lächelte, niemand erwiderte seinen Blick. Das Verhalten dieser Leute brachte ihn noch mehr aus der Fassung als die bedrückende Stille, die über der Stadt lag. Sie arbeiteten hart, aber es schien ihm, als wollten sie sich damit eher ablenken, als ihren Pflichten nachkommen.
Der Rocaan und Jewel.
Damit hatte Stowe nicht gerechnet.
Der Posten sprach jetzt mit dem Küchenmeister. Sie standen am anderen Ende der Anrichte, und Stowe konnte nicht hören, was sie sagten. Der Küchenmeister gestikulierte mit der rechten Hand. Er sah erschöpft aus, und sein braunes Hemd war schmutzig. Schließlich nickte der Wachtposten und ging zu Stowe zurück, sagte aber nichts.
Sie setzten ihren Weg durch den Flur fort, am Audienzsaal vorbei, und betraten schließlich den Großen Empfangssaal. Stowe ergriff den Arm des Postens und hielt ihn zurück.
Dort, inmitten des Saales, war Jewels Leiche aufgebahrt. Sie lag auf dem Rücken, die Arme über der Brust verschränkt. Sie trug ein blutiges weißes Hemd. Stowe trat vor den Posten und ging zu Jewel hinüber. Die obere Hälfte ihres Kopfes war zerstört, aber ihre Schönheit war in dem, was von ihrem Gesicht übriggeblieben war, immer noch zu erkennen.
Um sie herum brannten Kerzen, und jemand hatte eine Rosenknospe an ihrer Seite niedergelegt. Es mußte die erste Rose des Frühjahrs sein, die sie nicht mehr hatte sehen können.
»Warum ist sie hier?« fragte Stowe.
»Die wissen nich’, was sie mit ihr machen sollen«, erwiderte der Posten. »Die Fey sind ohne sie weggegangen, und der Rocaan hat sie umgebracht.«
Der Rocaan. Und der Tabernakel, der sich normalerweise um Bestattung und Begräbnis zu kümmern hatte. Stowe schüttelte den Kopf. In was war er hier nur hineingeraten?
Jemand hatte versucht, Jewels Stirn mit einem Tuch zu bedecken, aber Stowe konnte trotzdem die Entstellung sehen, die das Weihwasser verursacht hatte. Arme Frau. Er hatte sie weder gemocht noch verabscheut. Er hatte ihr einfach mißtraut und sich gefragt, was sie wohl im Schilde
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