Fey 03: Der Thron der Seherin
Inselbewohner und erkannten Jewel nicht als Mitglied der Königlichen Familie an. Aber als sie sich näherte, bewegten sich zwei von ihnen in perfektem Einklang, um die Tür zu öffnen.
Nicholas stand inmitten des Audienzzimmers, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Das lange blonde Haar trug er zum Pferdeschwanz gebunden. Er war, eine Seltenheit unter den Inselbewohnern, so groß wie Jewel, und obwohl er breit gebaut war, strahlte seine Erscheinung Kraft aus. Er trug eine Bluse, die an den Handgelenken gerafft, am Hals jedoch offen war, und enge Hosen, die in hohen schwarzen Reitstiefeln steckten. Seine Augen waren gerötet, und sein Gesicht zeigte einen Ausdruck, den Jewel nie zuvor an ihm gesehen hatte.
Neben ihm stand Lord Enford, ebenfalls in Reithosen, was ungewöhnlich war. Er war schmutzbedeckt, das Haar klebte ihm am Kopf, einzelne Strähnen hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst. Die Augen in dem hageren Gesicht lagen noch tiefer in ihren Höhlen als sonst.
Instinktiv legte Jewel eine Hand auf den Bauch, um das Kind darin zu beschützen. Dann trat sie ein.
»Nicholas?« fragte sie, sogar jetzt die strengen Regeln der Anrede mißachtend, auf denen die Inselbewohner bestanden.
Er starrte sie an, als sähe er sie gar nicht, als wäre er ein Fremder. Bei diesem Gedanken überlief Jewel ein Schauder. Die Fey hatte ihre Methoden, in einen anderen Menschen einzudringen, manchmal direkt, wie es die Doppelgänger machten, die die Person einschließlich der Seele übernahmen, und manchmal indirekt, durch die Sprüche mächtiger Zauberer. Jewels Vater konnte keinen Doppelgänger geschickt haben, um Nicholas zu übernehmen, denn alle Doppelgänger waren im ersten Jahr der Fey auf der Insel getötet worden. Zauberer hatte Rugar nicht mitgenommen. Trotzdem ging Jewel jetzt auf Nicholas zu, legte die Hand um sein Kinn und drehte sein Gesicht zu sich. Seine Augen waren rotgerändert, doch es waren keine Goldflecken – das Zeichen der Doppelgänger – darin zu erkennen. Vor ihr stand Nicholas, aber ein Teil seines Wesens, das sie nicht kannte.
Er stöhnte bei ihrer Berührung, schlang dann die Arme um sie und zog sie so eng an sich, wie er konnte. Das Baby trat protestierend um sich – schlief dieses Kind denn nie? –, aber Nicholas schien es gar nicht zu bemerken. Jewel hielt ihn ganz fest und warf über seine Schulter einen Blick zu Lord Enford hinüber. So demonstrativ hatte Nicholas sich in der Öffentlichkeit noch nie aufgeführt. Jewel mißbilligte ein solches Verhalten noch mehr als Nicholas selbst, und bislang hatte Nicholas diese Abneigung auch immer respektiert. Bis heute.
Außer Enford waren sie allein in dem großen Raum. Die Wachen, die sonst neben den altertümlichen Speeren an den Wänden standen, hatten sich zurückgezogen. Der Thron auf dem Podium war leer, was Jewel weniger überraschte, denn Alexander befand sich auf einer Reise durch seine Provinzen …
Zusammen mit Enford.
Wieder wandte Jewel sich dem Lord zu und musterte die braunen Spuren auf seiner Reisekleidung. Nicht alle diese Flecken waren Schmutz. Ein Schauer überlief sie, so stark, daß sie zitterte.
Nicholas fühlte, daß sie schauderte, und ließ sie los. Er fuhr sich mit der Hand durch das blonde Haar und zerstörte dabei seine Frisur, eine Geste, die Jewel an seinen Vater erinnerte. Nicholas ging zum Thron hinüber und starrte auf das Wappen, das die Wand über dem Podium schmückte. Die Tatsache, daß die Königliche Familie ein Wappen besaß, hatte Jewel seit jeher merkwürdig gefunden. Noch seltsamer war, daß das Bild zwei Schwerter zeigte, die sich über einem Herzen kreuzten.
»Was meinst du? Symbolisiert das unsere Beziehung?« fragte Nicholas seine Frau auf Nye.
Jewel hütete sich, diese Frage vor Enford zu beantworten. »Was ist geschehen?« fragte sie leise in der Inselsprache. In den Jahren im Palast hatte sie die Sprache gut gelernt, obwohl sie sich mit Nicholas weiterhin auf Nye unterhielt. Nicht, daß es ihnen eine Privatsphäre verschafft hätte: Die meisten Inselbewohner beherrschten Nye. Es hatte sich einfach so ergeben.
Enford öffnete den Mund, aber Nicholas hob die Hand. »Mein Vater ist tot«, sagte er auf Nye.
Der Schmerz über Jewels Herz verschwand, als hätte er nie existiert, und plötzlich vermißte sie ihn. Sie fühlte sich leer. Alexander war tot. Von einem Augenblick zum andern war alles anders. »Wieso?« fragte sie in der Inselsprache.
Nicholas drehte sich um und blickte Enford
Weitere Kostenlose Bücher