Fey 03: Der Thron der Seherin
Herr.« Erst jetzt erhob sich Adrian. Seit er sich im Schattenland aufhielt, war er immer in guter Form gewesen, aber für einen Fey war er ein leichter Gegner – besonders für einen Fey wie Rugar, der in allen Kampfarten geübt war. »Ich kann etwas von den Domestiken holen.«
»Das hätte ich auch selbst tun können«, erwiderte Rugar. Er stieß einen anderen Stuhl mit dem Fuß beiseite und setzte sich. Er sah erschöpft und viel zu mager aus, seine normalerweise scharf geschnittenen Züge wirkten jetzt beinahe knochig. Die meisten Fey-Gesichter waren von seltsamer Schönheit, Rugars Gesicht nicht. Es strahlte Kraft und Stolz aus, wie der Kopf eines Raubvogels. Nicht schön, aber ebenso beeindruckend.
An diesem Nachmittag noch mehr als sonst, obwohl Adrian nicht hätte sagen können, warum.
»Eure Speisekammer ist nur spärlich bestückt, Herr, weil wir nicht wußten, wann Ihr zurückkommen würdet …«
Rugar hob die Hand und gebot Adrian Schweigen. »Ich habe gehört, daß die Schamanin aus ihrer Hütte gekrochen ist.«
»Ja, Herr.« Adrian hütete sich, mehr Information preiszugeben, als von ihm verlangt wurde.
»Die Domestiken haben gesagt, ihre Vision sei niederschmetternd gewesen, so niederschmetternd, daß sie mich sprechen wollte.«
»Ich weiß nicht, Herr. Sie unterrichten mich nicht über die Angelegenheiten der Fey.«
Rugar blickte auf, als sähe er Adrian zum ersten Mal. »Natürlich nicht«, sagte er.
Dann packte er den Absatz seines rechten Stiefels und zog den Schuh aus. Sein Fuß war in dicke, mit schlammigen Flecken übersäte Strümpfe gehüllt. Er warf Adrian den Stiefel vor die Füße, dann zog er den zweiten aus und verfuhr mit ihm auf gleiche Weise.
Adrian hob die Schuhe auf, ohne darum gebeten worden zu sein. Er würde sie Mend geben – wie er es seit dem Tag tat, als sie ihn beim Versuch, die Stiefel selbst zu reinigen, angetroffen hatte. Damals hatte sie sie wortlos und fleckenlos sauber zurückgebracht.
»Sag mir, o großer und weiser Inselbewohner«, begann Rugar und massierte seine Zehen, »was passiert auf der Insel, wenn ein König stirbt?«
Adrian packte die noch warmen Stiefel fester. »Verzeiht?«
»Wenn ihr euren König verliert, was passiert dann?«
Sitte. Sitte und Tradition. Deswegen war Adrian hier, um die Fey Sitte und Tradition zu lehren. Wahrscheinlich spielte Rugar einfach mit ihm, forderte ihn heraus, um Informationen zu sammeln. Und Adrian durfte nicht lügen, denn die Fey hatten gedroht, seinen Sohn Luke zu ermorden, falls sie herausfanden, daß Adrian ihnen nicht die Wahrheit sagte.
»Die Königswürde ist erblich, meint Ihr das, Herr?«
»Nein.« Rugar stellte die Füße auf den Boden und streckte sich. Seine Kleider waren zerknittert und fleckig. Manche Flecken waren Schlamm, andere sahen eher nach Gras aus. Auch das war merkwürdig. Rugars Position erlaubte ihm, von Domestiken angefertigte Kleidung zu tragen, Kleidung, die Flecken und Wasser abwies und keine Spuren von Gebrauch zeigte. »Ich habe gefragt, wie das Land darauf reagiert, wenn ein König stirbt.«
Adrian stieß den angehaltenen Atem aus. Plötzlich spürte er das dringende Bedürfnis, sich zu setzen. Als der letzte König der Insel gestorben war, war Adrian in den Zwanzigern gewesen, und das Ereignis hatte ihn nicht weiter berührt.
»Man schickt Ausrufer durch das ganze Land und verkündet den Tod des Königs. Der neue König wird gekrönt, und das Leben geht weiter.«
Rugar verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Niemand trauert?«
Adrian zuckte die Achseln. »Das ist die persönliche Angelegenheit jedes einzelnen. Es gibt eine offizielle Trauerzeit, aber ich glaube, um den Guten König Alexander werden nur wenige trauern.«
Rugar nickte Adrian zu. Er wirkte noch immer entspannt, obwohl sein Körper sich gestrafft hatte. »Und warum nicht?«
»Weil …« Adrian holte tief Luft. In Momenten wie diesem widerstrebte es ihm am meisten, immer die Wahrheit sagen zu müssen. »Weil er die Fey auf der Blauen Insel duldet. Weil unter seiner Herrschaft so viele Menschen umgekommen sind.«
»Aber viele Inselbewohner haben mir erzählt, daß er ein guter König war.«
»Das war er auch«, erwiderte Adrian. »Bis er auf die Probe gestellt wurde.«
Ein Lächeln huschte über Rugars Gesicht. »Ist das die allgemeine Meinung oder deine höchstpersönliche?«
»Meine natürlich«, gab Adrian ärgerlich zurück. »Ich hatte in letzter Zeit keine Gelegenheit, eine Umfrage
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