Fey 03: Der Thron der Seherin
gehalten.
Das überraschte ihn noch immer. Er hatte befürchtet, daß bei Jewels Abschied auch ihre Zusicherungen außer Kraft gesetzt würden. Aber Rugar war zu niedergeschlagen über seine Mißerfolge, um sich groß um Adrian zu kümmern, und nach und nach hatte Adrian seinen festen Platz gefunden: Er lehrte die Fey die Sprache und die Sitten der Insel und verrichtete handwerkliche Arbeiten, die den Domestiken zu niedrig waren.
Nur einmal war Rugar über Adrian in Zorn geraten, und da hatte sich Mend, eine der Domestiken, vor ihn gestellt.
Adrian gab sich einen Ruck und stand auf. Der Gedanke an Mend machte ihn immer unruhig. Anders als die anderen der Magie kundigen Fey (die nichtmagischen waren da umgänglicher), behandelte Mend Adrian stets sehr respektvoll. Sie sprach mit ihm wie mit einem Gleichgestellten, nicht wie eine Herrin mit ihrem Diener. Wenn sie ihm begegnete, lächelte sie ihm zu und blieb stehen, um sich mit ihm zu unterhalten.
Sie war viel zu mager und hatte tiefe Ringe unter den Augen – Domestiken waren chronisch überarbeitet und bekamen zu wenig Schlaf –, aber ihr dunkles Haar glänzte, und Adrian ertappte sich dabei, wie er zu den seltsamsten Gelegenheiten an ihre geschwungenen Augenbrauen und ihren schmalen Mund dachte.
Das Gefangenensyndrom. Jemand hatte ihm davon erzählt. Manchmal identifizierten sich Gefangene mit ihren Entführern und verehrten sie sogar. Adrian hatte das immer für unmöglich gehalten, aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher.
Rugar jedenfalls verehrte er nicht.
Draußen ertönten Stimmen. Adrian erhob sich schuldbewußt, denn er wollte nicht dabei ertappt werden, wie er es sich in Rugars Wohnung gemütlich machte, und wischte sich die Hände an der Hose ab. Dann kauerte er sich vor das Feuer, ordnete den Holzstoß und versuchte, beschäftigt auszusehen. Diese Stimmen hatte er in den vergangenen Tagen schon öfter gehört, ohne daß etwas passiert wäre, aber er hatte beschlossen, daß es besser war, so zu tun, als sei Rugar zurückgekehrt, als letztendlich doch noch überrascht zu werden.
Die Stimmen klangen wütend und verwirrt. Adrian konnte die Worte nicht verstehen, aber er glaubte, einige Domestiken herauszuhören, die aufgeregt miteinander sprachen. Die Domestiken waren schon seit Tagen nervös, weil die Schamanin so unglücklich war. Sie hatte eine Vision gehabt, die sie so tief verstörte, daß sie ihre Hütte verlassen hatte, um mit Rugar zu sprechen, der natürlich nicht dagewesen war.
Adrian kam es merkwürdig vor, daß die Schamanin der Fey nicht wußte, daß der militärische Anführer nicht im Lager weilte. Aber je länger er die Fey beobachtete, desto weniger verstand er sie.
Sein Rücken wurde langsam steif, und er veränderte seine Haltung. So nah am Feuer war es heiß. Er würde bald aufstehen müssen, aber er wollte die Hütte nicht verlassen, solange draußen so viele Leute standen. Die meisten im Schattenland verbliebenen Fey wußten, daß Adrian jetzt Rugars persönlicher Diener war, aber nicht allen gefiel die Tatsache, daß Rugar überhaupt einen Diener hatte. Nur Rugar, Sohn des Schwarzen Königs und offizieller Anführer der Gruppe, kamen diese Beschwerden nie zu Ohren.
Adrian schon.
Er stützte sich mit der Hand auf dem Holzfußboden ab und wollte sich gerade erheben, als eine Stimme ihn erstarren ließ.
Rugars Stimme.
Sie klang barsch und bösartig. Noch bevor Adrian richtig aufgestanden war, flog die Tür auf und knallte gegen die Außenwand der Hütte. Der graue Nebel, der das Schattenland erfüllte, wirbelte herein, begleitet von unangenehmer Kälte. Rugar stand in der Tür. Seine hochgewachsene, schlanke Gestalt war in einen schwarzen Umhang gehüllt, der ihn vor der Feuchtigkeit schützte.
Eine Gruppe Domestiken hatte sich vor der Hütte versammelt. Aus seiner Position auf dem Fußboden konnte Adrian sie kaum erkennen. Sie sprachen miteinander wie eine Gruppe von Leuten, die kurz davor ist, irgendwohin aufzubrechen.
»Was treibst du hier?« fuhr Rugar Adrian an.
Adrian hütete sich, Rugar noch mehr zu verärgern. Langsame Bewegungen und ein vernünftiger Tonfall funktionierten meistens am besten. »Ihr habt mir befohlen, in dieser Woche in Erwartung Eurer Rückkehr das Feuer in Gang zu halten.«
»Das Feuer sieht gut aus.« Rugar zog die Tür ins Schloß. Er legte seinen Umhang ab, schüttelte das Wasser aus dem Gewebe und warf das Kleidungsstück auf einen der Holzstühle. »Hast du etwas zu essen?«
»Nein,
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