Fey 03: Der Thron der Seherin
»Ist es das, was du willst, Jewel?«
Ihre Lippen öffneten sich, als überrasche sie diese Frage. »Nein«, sagte sie. »Ich will es nicht. Er bedeutet mir zu viel.«
Burden sah weg. Jewel legte ihre Hand auf seine und fuhr mit sanfter Stimme fort: »Selbst wenn er stürbe, Burden, würden sie mir niemals erlauben, die Regierung zu übernehmen. Sebastian wird nie in der Lage sein, die Staatsgeschäfte zu führen, und keiner von uns weiß, wie dieses Kind hier sich entwickeln wird. Wenn Nicholas stirbt, muß ich mit beiden Kindern den Palast verlassen. Ich weiß nicht, ob sie einen von uns am Leben ließen.«
»Du bist eine Fey, Jewel. Wie könnten sie dich aufhalten?«
»Ich glaube, du kennst die Antwort selbst.«
Er nickte. Er kannte sie. »Trotzdem ist ein Fey als Mörder einfach nicht plausibel«, sagte er.
»Ich weiß«, bestätigte Jewel. »Aber ich kann dieses Gefühl nicht einfach abschütteln. Kannst du es für mich herausfinden, Burden? Kannst du herausfinden, ob einer unserer Leute Alexander getötet hat?«
Burden konnte ihr einfach nichts abschlagen. Obwohl sie ihn verraten hatte. Er legte den Kopf auf ihren Bauch und lauschte, wie das Baby, das ein anderer Mann gezeugt hatte – ein Feind –, sich in ihr bewegte.
»Ich werde es herausfinden, Jewel«, versprach er. Und er würde ihr helfen, einen Fluchtplan zu schmieden, das schwor er sich.
Er hatte das deutliche Gefühl, daß sie einen solchen Plan bald gut würde gebrauchen können.
10
Titus stand auf der Landstraße vor den Toren Jahns. Hinter ihm warteten ein halbes Dutzend Daniten und ein Dutzend Auds, obwohl Titus dem Ältesten Eirman erklärt hatte, daß eine Handvoll Männer reiche. Aber der Älteste Eirman hatte vom Rocaan den Befehl erhalten, daß sie die Leiche des Königs mit so vielen Leuten wie möglich in Empfang nehmen und unbehelligt in den Tabernakel bringen sollten. Titus hatte gegen den Befehl aufbegehren wollen, denn eigentlich entsprach es dem vorgeschriebenen Ablauf, die Leiche des Königs auf den offiziellen Friedhof auf dem Hügel nördlich des Palastes zu bringen und für einen angemessen prunkvollen Sarg zu sorgen. Aber der Rocaan wollte den König im Tabernakel haben, die Segnung sollte in der Sakristei stattfinden, und dann erst sollte eine Prozession zum Begräbnisgottesdienst auf den Friedhof ziehen.
In Titus’ Augen war das alles Gotteslästerung.
Die Kirche lehrte, daß der Ablauf des Gottesdienstes vom ersten Rocaan, der die Wünsche des Roca kannte, vorgeschrieben wurde. Obwohl der Roca ein gewöhnlicher Mensch gewesen war, war er doch ein Gottgefälliger. Er saß in Gottes Hand und hatte Zugang zu Gottes Ohr. Seine Wünsche waren Gott näher als die irgendeines anderen Menschen auf der Insel. Das war es, was sie so heilig machte, glaubte Titus. Der neue Rocaan, der ehemalige Älteste Matthias, war der Meinung, der Rocaan dürfe deshalb Ablauf und Inhalt der Gottesdienste nach Lust und Laune gestalten. Kein Rocaan vor ihm hatte so über diese Dinge gedacht, aber es hatte sich auch noch kein Rocaan so auf seine Gelehrsamkeit berufen, wie Matthias es tat.
Allmählich kam Titus zu der Überzeugung, daß die Gelehrsamkeit die Wurzel allen Übels in der Kirche war.
Aber er hatte darüber nicht zu urteilen. Er war nur ein kleiner Danite, der nach dem Tod des Fünfzigsten Rocaan, dessen Zeuge er gewesen war, für diesen Posten ausgewählt wurde. Jener Tag verfolgte ihn immer noch in seinen Träumen – dieses Fey-Wesen griff den Rocaan an und schien sich dann selbst in den Rocaan zu verwandeln. Als der Fey-Rocaan mit Weihwasser bespritzt worden war, war er geschmolzen, und nur ein Häuflein Blut, Knochen und Wasser war in der kleinen Kirche am Ufer des Blumenflusses zurückgeblieben. Danach hatten die Ältesten behauptet, die Fey hätten versucht, das Rätsel des Weihwassers zu lösen. Nach alter Sitte kannte nur der Rocaan dessen Geheimnis, obwohl zu jenem Zeitpunkt auch der Älteste Matthias darum gewußt hatte.
Die Fey hatten es zwar nicht geschafft, den Tabernakel zu übernehmen und das Rätsel des Weihwassers – das sie ›Gift‹ nannten – zu lösen, aber sie hatten den Reichtum und die Einheit des Rocaanismus zerstört. Wenn Titus seinen pessimistischen Tag hatte, glaubte er, daß der Rocaanismus sich unwiederbringlich verändert hatte.
Eine Brise wehte von Süden. Die Straße war leer. Nur hinter Titus standen seine Glaubensbrüder und riegelten die Straße ab. Heute war Jahn für
Weitere Kostenlose Bücher