Fey 03: Der Thron der Seherin
Titus Matthias’ Liebling ist.«
»Der Liebling des Rocaan«, berichtigte Simon Gregor verdrossen.
»Stimmt«, sagte Gregor leise lächelnd. »Des Rocaan.«
Titus verstand dieses Lächeln. Vor vielen Jahrzehnten war Gregor einer von Matthias’ Beratern gewesen. Jetzt war Matthias in das Amt des Gottgefälligen aufgestiegen und hatte Gregor hinter sich gelassen. »Ich bin niemandes Günstling«, widersprach Titus. »Der Älteste Eirman hat mich hierher bestellt.«
»In Matthias’ Auftrag«, ergänzte Gregor.
»Der Junge ist ein echter Gläubiger«, knurrte Simon, als sei es eine Sünde, gläubig zu sein.
Gregor blickte auf Simons beschuhte Füße. Von allen Daniten der Abordnung war er der einzige, der Sandalen trug. »Matthias hat schon immer eine Vorliebe für Leute mit wahrem Glauben gehabt«, sagte Gregor.
Titus runzelte die Stirn. Er dachte an die Veränderungen im Tabernakel seit dem Tod des Fünfzigsten Rocaan. Eine davon war, daß Gläubige oftmals wichtige Posten bekleideten. Titus hatte immer vermutet, die Gläubigen drängten sich danach, die Positionen zu bekleiden, die die Gelehrten räumten, weil sie den Tabernakel schützen wollten. Er hatte nie angenommen, daß es der Wille des Rocaan war, daß die Gläubigen diese Ämter innehatten.
»Aber hier begeht der Rocaan einen Fehler«, meinte Titus errötend. Er wußte, daß es unklug war, den Kirchenführer zu kritisieren, aber er konnte nicht länger an sich halten. »Wir sollten die Leiche zum Friedhof des Palastes bringen.«
»Gläubige«, knurrte Simon und ging davon. Er schlenderte zu einigen Auds, weit genug weg, um sich der Unterhaltung zu entziehen, aber immer noch nahe genug, um jedes Wort zu verstehen.
»Was macht dich da so sicher?« fragte Gregor. Anders als Simon verfügte er über eine tiefe, volltönende Stimme. Er hätte einen prächtigen Ältesten abgegeben, der jeden Morgen und Mitternacht vor der Gemeinde die Worte des Roca rezitierte.
Titus warf Gregor einen Seitenblick zu. Der ältere Mann ließ den Blick über die Straße schweifen. Seine vom Alter zerfurchten Züge machten einen gelassenen Eindruck. Er schien sich mehr auf die Leere vor ihm zu konzentrieren als auf Titus’ Antwort.
»So schreibt es nun einmal die Zeremonie vor«, erklärte Titus. »Eine Zeremonie, die der Erste Rocaan nach den Wünschen des Roca angeordnet hat.«
»Aufgrund dessen, was der Erste Rocaan für die Wünsche des Roca hielt. Bedenke, daß Matthias einer unserer fähigsten Gelehrten ist. Vielleicht verfügt er über Erkenntnisse, die beweisen, daß der Erste Rocaan gegen des Roca Wunsch gehandelt hat.«
Titus schüttelte den Kopf. »Der Erste Rocaan kannte den Roca persönlich. Er muß genau gewußt haben, was der Roca wollte.«
»So wie du weißt, was der Einundfünfzigste Rocaan will?«
Titus erstarrte. Er haßte es, auf diese Weise belehrt zu werden. »Ich kenne ihn nicht.«
»Du kennst ihn besser als den Roca«, widersprach Gregor. »Der Roca ist für dich eine mythische Figur. Matthias dagegen siehst du täglich.«
»Aber ich spreche nie mit ihm.«
»Es ist auch nicht deine Aufgabe, mit ihm zu sprechen oder seine Beweggründe zu erforschen. Wenn er die Leiche in den Tabernakel bringen läßt, wird er gute Gründe dafür haben.«
»Andere als seinen Ehrgeiz?« Titus errötete noch mehr. Er konnte einfach nicht länger schweigen. Schon seit Monaten beunruhigten ihn die Handlungen des Rocaan.
»Ehrgeiz?« Gregor lachte leise. »Matthias war noch nie ehrgeizig. Nur gelangweilt. Außerdem, was für ein Ehrgeiz bleibt ihm denn noch? Er ist Rocaan. Eine höhere Stellung innerhalb des Tabernakels gibt es nicht.«
»Was ist mit der Königswürde?«
Die in der Nähe stehenden Auds schnappten nach Luft. Simon blickte erst Titus an und wandte dann den Blick rasch wieder ab. Gregor drehte sich zu Titus um. Die Jahre hatten sein Gesicht verwüstet, seine blauen Augen verwässert und seine Nase abgeflacht. Er war der einzige, den Titus’ Frage nicht zu empören schien.
»Jung-Nicholas ist jetzt unser König.«
»Das weiß ich wohl«, sagte Titus, »aber …«
»Nein«, unterbrach ihn Gregor streng. »Du weißt nichts. Für jemanden deines Alters scheint das alles so einfach zu sein. Ein Mann will nach oben. Er will Macht. Er will die Welt um sich herum beherrschen. Ist er erst einmal mächtig geworden, will er noch mehr Macht.«
Simon tat nicht länger so, als bemerke er die beiden nicht. Er kam näher. Auch die Auds hatten sich ihnen
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