Fey 04: Die Nebelfestung
festhalten.
Rotin schien nichts davon bemerkt zu haben. Sie hatte den Arm bis zur Schulter in die Hautblase hineingeschoben.
Haben wir dir weh getan? übermittelte Streifer seine Antwort in Gedanken.
Hört auf damit!
Eine gräßliche Angst schwang in der Bitte mit. Das war es auch gewesen, was ihn nach hinten hatte taumeln lassen. Blanke, entsetzliche Angst.
Der Junge hatte wahrscheinlich noch nie so etwas wie die Vorbereitungen zum Knacken eines Schutzschildes gesehen. Womöglich hatte er nicht einmal gewußt, wie sein Schild außerhalb seines Kopfes überhaupt aussah.
Haben wir dir weh getan? wiederholte Streifer.
Bleibt weg! Bleibt weg!
»Zieh dich lieber wieder zurück«, sagte Streifer zu Rotin.
Sie sah ihn stirnrunzelnd an.
»Der Junge Sendet. Er hat schreckliche Angst.«
»Der erste Durchbruch ist immer unangenehm«, sagte Rotin, zog den Arm jedoch heraus. Ihre Haut war von länglichen schwarzen Streifen von der Außenhaut der Blase überzogen. Das Loch in der Blase schloß sich sofort wieder.
»Er ist also einer von den Schwachen«, sagte sie.
»Nein«, erwiderte Streifer. »Die Übermittlung war sehr stark.«
»Er konnte meine körperliche Berührung nicht ertragen. Stell dir nur mal eine richtige Berührung vor.«
»Er ist noch ein Kind«, sagte Streifer. »Ich weiß nicht, ob er überhaupt schon sechs Jahre alt ist.«
»Jedenfalls ist er alt genug, um einen Schild zu errichten.«
»Aber zu jung, um alle Tricks zu kennen.«
»Weil sie ihm niemand beigebracht hat«, erwiderte Rotin.
»Er lernt schnell genug.« Die untere Blasenhälfte hatte Streifer beeindruckt. Der Junge war überaus talentiert, eine wahrhaftige Ausnahmeerscheinung.
»Mal sehen, wie schnell«, sagte Rotin und verzog das Gesicht. Auch Streifer lernte schnell, und diesmal wußte er, was dieser Ausdruck besagte. Sie wollte einen zweiten Lichtstrahlangriff starten, so wie derjenige, den er auf den Jungen losgelassen hatte.
Ein Lichtstrahl schoß aus Rotins Augen. Streifer baute seine eigene Blockade vor der Blase auf. Als das Licht auf Rotin zurückprallte, hörte sie auf zu Senden, und das Licht verschwand.
»Du machst alles nur noch schlimmer«, sagte sie zu Streifer.
Er schüttelte den Kopf. »Da drinnen ist ein kleiner Junge. Er ist sehr talentiert, aber er ist noch schwach. Wenn du ihn umbringst, haben wir nichts damit gewonnen.«
»Ich bringe ihn schon nicht um«, gab sie zurück.
Streifer verschränkte die Arme vor der Brust. »Deine Lichtstrahlen sind zu stark. Ich lasse nicht zu, daß du ihn damit traktierst.«
»Du wirst mich nicht daran hindern«, erwiderte sie. »Ich bin die Anführerin der Hüter.«
»Die Hüter haben keinen Anführer«, sagte Streifer. »Außerdem kannst du mir nichts anhaben.«
»Ich kann dich entfernen lassen, Streifer …«
»Wenn der Schwarze König kommt.« Streifer lächelte zum ersten Mal, seit er den Jungen in die Hütte gebracht hatte. »Und das wird vielleicht niemals geschehen.«
Rotin stieß einen Seufzer aus. Sie hatte begriffen, daß Drohungen bei ihm nicht fruchteten. »Na schön«, sagte sie. »Ich sehe mich vor.«
»Schwöre es«, sagte Streifer. »Bei deiner Zauberkraft. Schwöre!«
Sie neigte den Kopf in seine Richtung. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, daß es keineswegs in ihrer Absicht lag, vorsichtig vorzugehen. »Was willst du mir denn antun, wenn ich nicht vorsichtig bin?«
»Dieser Junge ist unsere einzige Chance, etwas über die Magie der Inselbewohner herauszufinden. Unsere einzige Chance. Wenn du ihm weh tust, muß ich dir weh tun.«
»Leere Drohungen, Streifer. Ich bin mächtiger als du.«
»Nein«, widersprach Streifer. »Das war einmal.«
»Du kannst mir nichts tun.«
»Jeder kann dir etwas tun«, erwiderte er. »Man muß dich nur erwischen, wenn du deine Kräuter eingenommen hast.«
Ihre Züge verhärteten sich, und sie drehte sich zur Seite. Die Wahrheit seiner Aussage war ihr sehr wohl bewußt.
»Ich tu ihm nichts«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Gut«, meinte Streifer und blieb mit verschränkten Armen abwartend hinter ihr stehen. Sie sandte ein sehr schwaches Licht durch die Hauthülle der Barriere.
Der Junge schrie auf.
»Bist du damit einverstanden?« fragte Rotin mit einer Spur von Sarkasmus.
»Perfekt«, sagte Streifer. »Genau richtig.«
12
Nicholas stieg ab und übergab das schweißgebadete Pferd an Ejil. Der Stallbursche sah ihn mißbilligend an, sagte aber nichts. Nicholas hatte das Pferd sehr scharf
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