Fey 05: Der Schattenrpinz
spürte, wie stolz sie darauf war, ihn begleiten zu dürfen.
Mit Prey hätte er sich sicherer gefühlt.
Jedenfalls vor einem Angriff von außen. Trotzdem traute er Prey nicht. Er traute überhaupt nur wenigen Fey. Sie schienen ihn alle nicht ganz ernst zu nehmen.
Gabe und seine Gefährten waren die einzigen Passanten auf der Brücke. Trotz Kianas Versicherungen fand Gabe das merkwürdig. Kiana behauptete, die Inselbewohner verließen ihre Häuser nur selten nach Anbruch der Dunkelheit. So dunkel fand Gabe es gar nicht. Silbernes Mondlicht lag auf der Brücke und ließ die Steine glänzen. Es war ein wundervoller Abend. Die Hitze des Tages ließ endlich nach, und über dem Fluß war es schon erfrischend kühl.
Kiana ergriff seinen Arm. »Bleib nicht stehen«, warnte sie so leise, daß Gabe sich anstrengen mußte, sie zu verstehen. »Halte dich bereit, Leen.«
Leen nickte und schob sich dichter an Gabe heran. Gabes Herz begann heftig zu klopfen. Er wollte Kiana fragen, was sie gesehen hatte, hielt sich aber lieber zurück.
Kiana war bereits im dämmrigen Licht verschwunden. Gabe wußte nur, daß sie fort war, nicht, wo sie sich verbarg. Dann vernahm auch er das Geräusch, das sie alarmiert hatte. Schritte. Das leise, kaum hörbare Tappen nackter Füße auf Stein.
Nackte Füße.
Ein Aud? Einer von diesen Religiösen? Sie konnten ihn töten. Gabe war an diesem Tag oft genug mit knapper Not davongekommen.
»Ich sehe euch«, sagte eine Stimme in Inselsprache. »Ihr braucht euch nicht zu verstecken.«
Gabe erstarrte. Niemand konnte Spione sehen.
Niemand.
Er drehte sich um.
Leen zischte ihm etwas zu, packte seinen Arm und versuchte ihn zum Weitergehen zu zwingen. Aber Gabe rührte sich nicht vom Fleck.
Hinter ihm stand ein Inselbewohner. Das Mondlicht schien auf seinen Hinterkopf und warf einen Schatten über sein Gesicht, aber seine blonden Locken schimmerten. Für einen Inselbewohner war der Mann ziemlich groß. Er trug eine Hose und ein offenes Hemd, und er war barfuß.
Mit der linken Hand umklammerte er ein Fläschchen. Gabe erriet, daß es das Gift der Inselbewohner enthielt.
Kiana stand am gegenüberliegenden Brückengeländer. Ihr Gesicht war so verschwommen, daß sie nicht zu erkennen war.
»Fey auf der Brücke«, sagte der Mann in Inselsprache. »Gehen in Richtung Tabernakel. Was für Absichten verfolgt ihr diesmal?«
»Gar keine«, erwiderte Gabe. »Wir haben das Recht, uns in diesem Land frei zu bewegen.«
»Jeder kann sich frei bewegen und damit den Tod riskieren.« Der Mann hob das Fläschchen. »Ich mag keine Fey.«
»Wenn du uns schon töten willst«, sagte Gabe, »zeig uns wenigstens dein Gesicht.«
»Ist das bei den Fey so Brauch?« fragte der Mann, rührte sich aber nicht.
Seine Stimme kam Gabe bekannt vor. Nicht so bekannt, als hörte er sie jeden Tag, aber so bekannt wie ein Traum oder eine Vision. Trotzdem war Gabe sicher, daß er diesen Augenblick noch nie Gesehen hatte.
»Es wäre zumindest höflich«, gab er zurück.
»Warum geht ihr zum Tabernakel?«
»Das tun wir gar nicht«, erwiderte Kiana. »Wir wollen Jahn verlassen.«
Der Mann bewegte den Kopf ganz leicht, damit er sie besser sehen konnte. »Ihr wollt nach Süden?« fragte er. »Die Fey haben im Süden nichts zu suchen.«
»Wir schon«, konterte Leen.
Das Fläschchen hatte keinen Stöpsel. Der flüssige Inhalt warf das Mondlicht zurück.
»Gehörst du zum Tabernakel?« fragte Gabe jetzt. »Du scheinst dich dafür verantwortlich zu fühlen.«
»Ich muß nicht zum Tabernakel gehören, um mich dafür verantwortlich zu fühlen«, entgegnete der Mann.
»Nur ein Fey, der den Tod sucht, würde den Tabernakel betreten«, mischte sich Kiana ins Gespräch. Sie hatte sich näher an den Mann herangeschoben.
Er drehte sich um, und das Mondlicht beschien sein Gesicht. Seine Kopfform war rund, aber seine Nase war lang und edel geformt. Gabe war jetzt ganz sicher, daß er ihn früher schon gesehen hatte, sowohl im Traum als auch in einer Vision.
Allerdings war der Mann jünger gewesen, hatte ein langes rotes Gewand und das zeremonielle Schwert der Inselbewohner getragen. Hinter ihm, auf einem Tisch, hatte das heilige Gift gestanden. Und er hatte eine Krone auf den Scheitel von Gabes Mutter gesenkt.
Und dann hatte sie geschrien.
»Ich hielt Euch für tot.« Gabe machte einen Schritt auf den Mann zu. Er zitterte. Dieser Mann hatte einen Mord begangen und lebte noch immer.
Der Mann zuckte zusammen und hob das
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