Fey 05: Der Schattenrpinz
Verschlag kam Arianna der Gang riesig vor. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie stickig es in ihrem Versteck gewesen war.
Außer der Schamanin war niemand zu sehen. Die Wachen waren verschwunden. Wahrscheinlich, um Ariannas Vater zu erzählen, wo seine Tochter steckte. Arianna zitterte. Auch für sie war es ein anstrengender, verwirrender Tag gewesen.
Die Schamanin legte ihre trockene Hand auf Ariannas Wange. Arianna widerstand dem Drang, sich der Berührung zu entziehen.
»Du bist ein leidenschaftliches Mädchen«, sagte die Schamanin, »aber du weißt nicht, woher deine Leidenschaft kommt. Solanda hat dich eine Menge gelehrt, aber nicht genug. Sie hat zuviel von dir ferngehalten.«
Arianna schluckte. »Sie hätte mir von Gabe erzählen sollen.«
»Vor allem hätte sie dir von den Pflichten des Schwarzen Blutes erzählen müssen«, erwiderte die Schamanin. »Du hast einen richtigen Bruder, und du hast ihn heute nachmittag angegriffen. Du hast einen Urgroßvater, den du ebenfalls nicht anrühren darfst. Du hast drei Onkel und ein Dutzend Vettern, die du vielleicht niemals kennenlernen wirst. Wenn du einen von ihnen angreifst und ihm Schaden zufügst, entfesselst du einen Wahnsinn, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.«
Ariannas Wangen brannten. »Woher wollt Ihr das denn wissen, wenn es die Welt noch nie gesehen hat?«
»Einmal ist es geschehen«, erklärte die Schamanin. »Eine Schwarze Familie hat sich gegen sich selbst gewandt. Dreitausend Menschen mußten sterben, nachdem die Schwarze Königin und ihre Familie sich gegenseitig abgeschlachtet haben. Dreitausend. Väter kämpften gegen Söhne, Söhne gegen Mütter, Mütter gegen Töchter.«
»Dreitausend Leute sind nicht die ganze Welt«, widersprach Arianna dreister, als sie sich fühlte. Sie liebte es nicht, an Regeln erinnert zu werden, nachdem sie sie übertreten hatte.
»Damals schon.« Die Schamanin nahm ihre Hand von Ariannas Wange. »Der Wahnsinn verbreitete sich über das gesamte Reich der Fey. Die Fey hatten noch nicht mit ihren Eroberungszügen begonnen. Einer von zehn überlebte. Das ist alles. Inzwischen umfaßt das Imperium der Fey die halbe Welt. Willst du die halbe Welt für einen Wutausbruch aufs Spiel setzen, Arianna?«
Arianna wollte widersprechen. Sie wollte sagen, daß sie solche Macht nicht besaß. Aber die Schamanin hatte recht. Arianna wußte nicht genug über sich selbst oder ihr Fey-Erbteil, um zu widersprechen. Und Logik war hier fehl am Platze. Oft siegte Magie über Logik.
»Nein«, flüsterte Arianna. »Ich will nicht die halbe Welt aufs Spiel setzen.«
Dann straffte sie die Schultern. »Aber bis heute nachmittag habe ich noch nicht einmal gewußt, daß ich einen Bruder habe. Oder eine Fey-Familie. Es wäre nicht meine Schuld gewesen, wenn etwas passiert wäre.«
»Die Mächte kümmern sich nicht darum, wer schuld hat«, entgegnete die Schamanin. »Sie verleihen uns magische Kräfte, und wir lernen, sie zu gebrauchen. Oder sie zu mißbrauchen.«
Arianna sagte nichts mehr. Sie hatte keine Entschuldigung. Sie hatte diesen Jungen angegriffen. Ihren Bruder. Diesen Fey. Er hatte Sebastian, den sie liebte, weh getan.
Selbst, wenn er nicht ihr richtiger Bruder war.
»Was wollte mein richtiger Bruder von Sebastian?« fragte sie.
»Es ist nicht meine Aufgabe, die Visionen anderer Leute zu erklären.«
»Das gilt vielleicht für meinen Vater, aber nicht für mich. Was wollte er?«
»Gabe wollte deinen Stein-Bruder beschützen. Erst heute habe ich verstanden, warum. Aber er hat recht getan. Nur wegen dir ist es ihm nicht gelungen.«
»Hört auf, mir für etwas die Schuld zu geben, was ich für das einzig Richtige hielt!« Ariannas Stimme wurde lauter. »Ich dachte, er will meinem Bruder – Sebastian – weh tun. Ihm etwas antun.«
»Die Dinge sind oft anders, als sie scheinen, nicht wahr, Jung-Arianna? Gerade du solltest das wissen. Du bist keine gewöhnliche Gestaltwandlerin. Und Gestaltwandler sind ohnehin keine gewöhnlichen Lebewesen.«
»Was wollt Ihr von mir?« fragte Arianna.
Die Schamanin warf ihr einen durchdringenden Blick zu. »Die Zukunft hängt nicht von deinem Bruder ab, sondern von dir. Wähle weise.«
Arianna ballte die Fäuste. »Sagt mir, was ich tun soll, und ich werde es tun.«
Die Schamanin lächelte. »Wenn das so einfach wäre! Aber die Mächte haben mir nur bedeutet, daß du wichtig bist, nicht, was du zu tun hast.«
»Ich will aber gar nicht wichtig sein«, murmelte Arianna kläglich.
Die
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