Fey 06: Die Erben der Macht
Straße ab.«
»Aber erst machen wir halt und essen etwas.« Cinder verschränkte die Arme und runzelte drohend die Stirn.
Einen Augenblick lang sah Wirbler sie nachdenklich an. Er brauchte sie. Daran mußte er sich immer wieder erinnern. Er brauchte sie. Er würde nicht zulassen, daß sie wichtige Entscheidungen traf, aber ab und zu mußte er ihre Wünsche berücksichtigen.
»Gut«, sagte er schließlich. »Wir machen eine Pause. Aber nur kurz.«
Sie lächelte, legte die Arme an die Seiten an und ließ sich im Senkflug fallen. Wirbler seufzte und flog hinterher.
Hoffentlich nutzte Cinder die Pause gut. Sobald sie wieder in der Luft waren, wollte er Rugads Urenkel finden.
Egal, wie anstrengend es sein würde.
24
Arianna schmeckte ätzenden Rauchgeruch. Sie hatte das Gefühl, als hüllte der Gestank sie so vollständig ein, daß sie nie mehr dieselbe sein würde. Der Flug über die Stadt hatte sie entmutigt und in Wut versetzt. Sie befürchtete, daß ihr Volk den Fey vollkommen hilflos ausgeliefert war.
Sie hatte der Schamanin versprochen, ihren Urgroßvater nicht anzugreifen, aber dieses Versprechen galt auch für ihn. Er durfte seine Urenkelin nicht angreifen. Das verschaffte ihr vielleicht einen gewissen Spielraum. Wie sie ihn nutzen wollte, wußte sie allerdings noch nicht.
Ihre Flügel fühlten sich schwer an. In den letzten beiden Tagen hatte sie diese Muskulatur sehr häufig benutzt, noch nie war sie so viel an einem Stück geflogen. Sie hätte ihre Ausdauer durch häufigere Übungen verbessern sollen, sich auf etwas Derartiges vorbereiten müssen. Auf irgend etwas.
Als könne man sich auf eine Invasion vorbereiten, deren Gespenst seit zwanzig Jahren umging, ohne daß jemand wirklich daran glaubte.
Die Kratzwunden aus ihrem Zusammenstoß mit Solanda schmerzten immer noch. Man konnte sie am ausgedünnten Gefieder ihres rechten Flügels erkennen. Unendlich viel Zeit schien seit dem Zwischenfall vergangen zu sein.
Arianna seufzte. Bislang hatte sie nicht das geringste Anzeichen von diesem Gabe entdeckt. Sie hatte eine Menge zu berichten, aber nichts, was Sebastian wirklich hören wollte.
Fey verteilten sich über die ganze Stadt zu ihren Füßen. Die meisten blieben dem Palast allerdings fern. Das gefiel ihr, beunruhigte sie aber gleichzeitig. Der Schwarze König hatte einen Plan für diese Vögel.
Ein Plan, der vermutlich nicht nach Ariannas Geschmack war.
Jetzt kam der Palast in Sicht. Zumindest stand er noch unversehrt. Nach dem Anblick des brennenden Tabernakels hatte sie insgeheim befürchtet, daß auch der Palast inzwischen in Flammen aufgegangen sei.
Aber noch stand er, die drei Türme reckten sich im Sonnenlicht, die Flaggen flatterten an den Erkern. Doch alle Fenster waren verschlossen und die Gobelins heruntergelassen, was mitten am Tag einen merkwürdigen Eindruck machte.
Die Vögel saßen immer noch im Hof, einige hatte ihre Position verändert. Sie waren weiter vorgerückt.
Ariannas Rückenfedern sträubten sich, und sie zwitscherte unwillkürlich. Es war ein leises Geräusch, und der Wind trug es davon. Sie hatte es selbst kaum gehört.
Sie ließ ihren Schnabel zuschnappen und flog so niedrig, wie sie nur konnte, ohne den Eindruck zu erwecken, sie suche etwas.
Im Hof lag eine Leiche.
Zumindest hielt sie es für eine Leiche. Es bestand aus Knochen, etwas Haut und spärlichen Kleiderresten. Überall waren Blutspritzer. Einige der Vögel waren noch blutbedeckt.
Sie widerstand der Versuchung, noch tiefer zu fliegen. Man würde sie sehen. Würde erkennen, daß sie kein normales Rotkehlchen war, sondern daß in ihren Adern ebenfalls Fey-Blut floß.
Obwohl es keine Bedeutung mehr für sie hatte. Egal, was Solanda auch sagen mochte, Arianna war eine Inselbewohnerin. Rein und unverfälscht. Sie würde niemals Teil dieses Gemetzels unten im Hof sein.
Ihr Herz pochte heftig. Der Magen drehte sich ihr um. Jemand war dort unten gestorben. Vielleicht hatte sie ihn sogar gekannt.
Ihr Vater?
Hoffentlich nicht.
Das einzige, was sie mit Sicherheit sagen konnte, war, daß es sich keinesfalls um Sebastian handelte. Sie hatte keine Ahnung, was sich in seinem Körper befinden mochte, aber so zerfleischen konnte man ihn mit Sicherheit nicht.
Dann sah sie einen Wachposten, der sich an der Küchentür zusammenkauerte. Seine Uniform war blutbespritzt, und plötzlich wußte sie, was geschehen war. Ein Wachposten war hinausgegangen und getötet worden.
Ein Wachposten.
Sie war
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