Fey 07: Die Augen des Roca
schnappte Fyr nach Luft. Es roch nach Rauch. Kleine Flammen züngelten über den Boden.
Der Fremde war noch näher getreten. »Coulter …«, begann er wieder.
Ein vierter Feuerball zerplatzte und blendete Pausho.
»Zurück«, wiederholte der brennende Mann.
»Ich bin es«, beschwichtigte der Fremde. »Adrian.«
»Adrian«, rief der brennende Mann, und plötzlich war auch der Fremde von Licht umschlossen. Das Licht zog den Fremden erst zu dem brennenden Mann hin, dann hinter ihn und schließlich in einen geschützten Bereich aus Steinsäulen und einem flachen Dach. Es erlosch erst, als der Fremde außer Sichtweite war.
»Laß uns gehen«, beharrte Matthias.
»Warum sollte ich?« fragte der brennende Mann. »Du hast mich angelogen. Du hast versucht, mich umzubringen, und jetzt willst du meine Freunde töten.«
»Was ist hier los?« flüsterte Fyr, und Pausho hörte die Panik in ihrer Stimme. Ein derartiges Schauspiel hatten sie beide noch nie gesehen. Es überstieg ihr Fassungsvermögen.
Ein weiterer Feuerball flog über ihre Köpfe hinweg, rollte den steilen Pfad hinunter und setzte dabei kleine Grasbüschel in Brand.
»Hör auf damit«, rief Matthias. »Du wirst uns noch alle umbringen.«
»Bitte, Coulter«, flehte der Fremde aus der Dunkelheit hinter dem brennenden Mann. »Laß sie gehen.«
Zum dritten Mal hörte Pausho diesen Namen. Sie bekam eine Gänsehaut.
»Was ist?« flüsterte Fyr.
»Ich soll sie gehen lassen?« fragte der brennende Mann.
»Damit sie sich mit den Frauen dort unten zusammentun und uns angreifen? Ich glaube, das ist keine gute Idee. Sie wollen Leen töten und …«
»Ich weiß«, erwiderte der Fremde. »Aber so kannst du sie nicht daran hindern. Laß sie gehen.«
»Du verstehst mich nicht«, widersprach der brennende Mann. Pausho hörte an seiner Stimme, daß er noch jung sein mußte.
Er war jung, und er hatte Angst.
»Du weißt nicht« – hörte Pausho nicht sogar ein Schluchzen? – »was passieren kann, wenn ich sie laufenlasse.«
Coulter. Pausho schlug die Hände vors Gesicht. »Hebe Dich Hinweg«, flüsterte sie. »Hebe Dich Hinweg.« Auch ihre Stimme klang jetzt angsterfüllt. Fyr legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Dieses Ding weiß, daß wir hier sind«, zischte Fyr.
Pausho nickte. Aber sie hatte das Gefühl, daß das ihre geringste Sorge war. Denn dies hier war es, wovor sich die Weisen immer gefürchtet hatten.
Und Pausho hatte es zugelassen.
Coulter.
Sie schloß die Augen.
Es war ihre Schuld.
Sie mußte etwas unternehmen.
37
Con hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
Seine Welt bestand nur noch aus Gestank, verwesendem Fleisch und scharfen Holzkanten. Er war zerkratzt und blutig. Leichenschleim war in seine Wunden eingedrungen, und er hatte gehört, daß man davon innerlich verfaulte und starb. Trotzdem kämpfte er sich verbissen vorwärts, durch Verwüstung und Dunkelheit, trieb sich Splitter in die Haut und wich den herabpolternden Kisten aus.
Inzwischen hatte er zwar das Schwert wiedergefunden, aber er hatte nicht genug Platz, um die Klinge auch zu benutzen. Er band sich die Waffe um die Hüfte und arbeitete sich weiter voran.
In den Katakomben herrschte eine seltsame Stille. Con war schon lange Zeit allein.
Sobald die Schritte verklungen waren, hatte er aufgehört zu schreien. Dann hatte er versucht, sich den Anblick der Fey wieder ins Gedächtnis zu rufen, obwohl er sie nur kurz gesehen hatte, bevor Sebastian den Stapel mit Holzkisten umgestoßen hatte …
Es dauerte eine Weile, bis Con begriff, was Sebastian damit bezweckt hatte. Aber dann waren ihm Sebastians Worte vom Morgen wieder eingefallen.
Con … es … sind … Fey. Sie … hassen … Leute … wie … dich.
Sebastian hatte geglaubt, Con damit das Leben zu retten. Vielleicht hatte er das sogar getan. Con war im Begriff gewesen, sich mit seinem besonderen Schwert in den Kampf zu stürzen und sich so lange und so gut er konnte gegen die Fey zu wehren, bis er entweder tot oder kampfunfähig war.
Oder bis die Fey sich zurückzogen.
Diese letzte Möglichkeit hatte Con allerdings für ziemlich unwahrscheinlich gehalten.
Statt dessen hatten die Fey Sebastian verschleppt.
Sebastian war Cons Freund, und ihm galt auch seine Weisung.
Con stemmte sich mit aller Kraft gegen eine Kiste. Die Kiste geriet ins Wanken, fiel und zerschellte auf dem Steinfußboden.
Auf dem Steinfußboden.
Con tastete mit der Hand vor seinem Gesicht und fühlte nichts.
Gar nichts.
Nichts
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