Fey 07: Die Augen des Roca
nachdem er und Con so viel zusammen durchgemacht hatten.
Oder etwa doch?
Die Geschriebenen und Ungeschriebenen Worte besagten, daß Gott tatkräftige Menschen bevorzugte. Mit seinem Gebet hatte Con für Sebastian getan, was er konnte, aber er durfte alles andere nicht allein Gott überlassen. Wenn die Worte der Wahrheit entsprachen, wovon Con überzeugt war, mußte er selbst versuchen, Sebastian zu retten.
Con war im Palast gewesen. Er hatte auch die Fey in den unteren Stockwerken gesehen. Sebastian hatte recht: Die Fey haßten die Rocaanisten. Sie würden Con töten, sobald er nur den Mund aufmachte.
Con brauchte Hilfe, aber die Leute in der Höhle hinter ihm würden ihm kaum von Nutzen sein. Außerdem mußten die Fey aus dieser Richtung gekommen sein. Es gab keinen anderen Weg in die Katakomben.
Die Fey waren durch die Höhle gekommen.
Con überlief es kalt.
Wahrscheinlich waren inzwischen alle Menschen, die in der Höhle Zuflucht gesucht hatten, tot. Con hatte Glück, daß er überhaupt noch am Leben war. Dank Sebastian.
Er durfte Sebastian nicht einfach dem Schwarzen König überlassen.
Aber allein in den Palast einzudringen, war sinnlos.
Wo sind deine Freunde?
Im … Süden … Ein … Tagesmarsch … für … dich.
Ein Tagesmarsch. Plus die Zeit, die Con benötigte, um umzukehren. Das waren mindestens zwei Tage. Konnte Sebastian so lange in der Gewalt des Schwarzen Königs überleben?
Con wußte es nicht. Er wußte nur eins: Wenn er allein in den Palast zurückkehrte, würde er umkommen. Wenn er dagegen Hilfe holte, hatte er eine Chance, am Leben zu bleiben.
Wenn er am Leben blieb, konnte er Sebastian vielleicht retten.
Noch einmal neigte Con den Kopf. Er sprach ein weiteres kurzes Gebet für Sebastian und bat Gott, seinen Freund zu beschützen, während er selbst Hilfe holte. Er versuchte, nichts für sich selbst zu erbitten, flehte nicht um Vergebung für die Nichterfüllung seiner Weisung.
Trotzdem konnte er seine Gefühle nicht völlig unterdrücken, während er betete. Er wußte, daß er Gott ebensowenig etwas vormachen konnte wie sich selbst.
Seine Hände zitterten. Er beendete das Gebet und stand auf. Er warf einen letzten Blick auf den eingestürzten Kistenstapel. Die Kisten sahen aus wie zerbrochene, halb im Schlamm versunkene Spielzeuge. Wie der umgestürzte Bauklötzeturm eines Kindes.
Con konnte den Stapel nicht wieder aufbauen. Das würde zu lange dauern.
Er mußte zurückgehen.
Er mußte den Tunnelausgang am anderen Flußufer benutzen.
Er konnte nur hoffen, daß die Fey die Höhle inzwischen verlassen hatten.
»Bitte, Gott«, flüsterte er. »Bitte.« Er wußte nicht, ob er um Hilfe für sich selbst, für Sebastian oder für sie beide bat.
Doch, er wußte es. Er bat darum, daß er und sein neuer Freund auch diesen Schicksalsschlag zusammen durchstehen würden. Und am Leben blieben.
38
»Sie lenken dich bloß ab«, sagte Gabes Mutter, den Blick auf die Rotkappe und Leen gerichtet. Die beiden standen ein paar Stufen über ihnen und ließen Gabe nicht aus den Augen. Leen verschränkte die Arme vor der Brust. Fledderer runzelte die Stirn, als versuche er, ein Rätsel zu lösen. »Komm mit, damit wir unter uns sind.«
Seit Gabe Fledderer angeschnauzt hatte, hatte er sich nicht vom Fleck gerührt. Er betrachtete seine Mutter – oder den Schatten seiner Mutter oder das Abbild seiner Mutter – und versuchte, sich jede Einzelheit einzuprägen. Ihr Pferdeschwanz schwang bei jeder Bewegung des Kopfes mit. In ihren Augen, dunkel und schwarz wie die aller Fey, glänzten Tränen, seit sie ihn erblickt hatte. Ihr Gesicht war faltenlos glatt, und ihre Haut besaß die Spannkraft der Jugend.
Als er sie in seinen Visionen gesehen hatte, war sie älter gewesen, und noch älter, als er sie durch Sebastians Augen betrachtet hatte. Auch Gabe selbst hatte eine schwache Erinnerung an sie, die immer deutlicher wurde, während er mit ihr sprach. Er erinnerte sich daran, wie ihr Gesicht über seinem schwebte, an ihre Stimme im Nebenzimmer, die mit seinem richtigen Vater lachte. Dann waren die winzigen Leute über ihm aufgetaucht, hatten ihn in eine Decke gewickelt, waren mit ihm aus dem Fenster geflogen und hatten ihm erzählt, sie brächten ihn nach Hause …
»Gabe«, wiederholte seine Mutter, als merkte sie, daß er mit den Gedanken woanders war. »Bitte komm mit.«
Ganz gleich, wie sie aussah, er war nicht so dumm, ihr zu folgen.
»Sie stören mich nicht«, widersprach
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