Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fey 07: Die Augen des Roca

Fey 07: Die Augen des Roca

Titel: Fey 07: Die Augen des Roca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
Vom Netzwerk:
nach diesen Leuten? Haben sie etwas angestellt?«
    »Nein«, antwortete der Mann. »Aber sie wollten Geschäfte mit uns machen.«
    Adrian schluckte. Demnach waren Gabe und Leen zum Marktplatz gegangen, und ihr Erscheinen hatte eine feindselige Reaktion ausgelöst. Nicht etwa, weil sie Fey, sondern weil sie hochgewachsen waren.
    »Soll das heißen, daß ich das Geld, das ich hier verdiene, in Constantia nicht ausgeben darf?« fragte Adrian.
    »Du schon«, erwiderte der Mann. »Aber sie nicht.«
    »Warum nicht?« Adrian konnte nicht verhindern, daß seine Stimme schockiert klang.
    »Haben die euch in Jahn denn gar nichts beigebracht?« fragte der Mann mindestens ebenso schockiert wie Adrian.
    »Sieht ganz so aus«, gab Adrian zurück.
    Besitzer und Besucher warfen einander einen Blick zu, als hätte Adrian soeben eingestanden, daß er nicht wußte, wie man aß. Dann sagte der Mann: »Ich vermute, du bist Rocaanist.«
    Adrian nickte, obwohl es nicht ganz stimmte. Er war seit Jahrzehnten in keiner Andacht mehr gewesen, aber er war gläubig erzogen, und als Jungen hatte man ihn in den Lehren des Tabernakels unterwiesen.
    »Dann kennst du die Geschichte des Roca.«
    Adrian runzelte die Stirn. »Ich kenne sie. Aber was spielt das für eine Rolle?«
    »Er kam von den Klippen.«
    »Ich dachte, er sei in den Schneebergen geboren«, erwiderte Adrian. »Das habe ich vor Jahren einmal gehört.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Wir hier kennen seine unverfälschte Geschichte. Die Leute aus den Schneebergen nahmen unsere Geschichten schon vor Jahrhunderten und verdrehten sie, als sie versuchten, die religiöse Macht zu ergreifen. Wir hier sind jedoch im Besitz des ursprünglichen Wortlauts seiner Lehre.«
    Adrian stützte sich noch schwerer auf den Pickel. Er hatte das Gefühl, als steckte er mitten in einer intellektuellen Debatte, die er nicht begriff.
    »Aus den Tagen des Roca sind viele Schriften und Legenden auf uns gekommen«, fuhr der Mann fort. »Die meisten davon sind niemals vom Tabernakel aufgezeichnet worden. Die meisten davon sind verlorengegangen – absichtlich, wie wir glauben –, als der Tabernakel seine Hausmacht ausbauen und sichern wollte.«
    Adrian blinzelte verwirrt. Er hatte sich auf eine verzwickte Geschichte gefaßt gemacht, aber nicht auf diese Eröffnung.
    Der Mann schob die Ärmel seines Pullovers hoch. Es wurde langsam warm. Die Sonne hatte die Wolken über den Bergen aufgelöst.
    »Viele dieser Geschichten handeln von den Langen. Sie sind böse und müssen vernichtet werden.«
    Adrian schüttelte den Kopf. So etwas hatte er noch nie gehört. »Aber ich dachte immer, gerade die Leute von den Klippen seien hochgewachsen.«
    Der Besitzer fluchte leise. Der Mann schloß einen Augenblick die Augen und öffnete sie dann wieder, als habe er soeben etwas schier Unerträgliches gehört. »Ich habe es Pausho gesagt«, äußerte er zum Besitzer gewandt. »Aber sie wollte es ja nicht wahrhaben.«
    »Was denn?« fragte Adrian.
    »In unseren Familien gibt es eine Tendenz, lange Kinder zur Welt zu bringen. Wir töten sie. Viele Schwangere verlassen uns, bevor wir uns um sie kümmern können.«
    Adrian sträubten sich die Nackenhaare. Dieser Mann hatte gerade, ohne mit der Wimper zu zucken, von Kindsmord gesprochen. »Also sind die hochgewachsenen Inselbewohner von den Klippen … böse?« Das letzte Wort spuckte Adrian fast heraus.
    »Und müssen getötet werden«, ergänzte der Mann mit der gleichen ruhigen Stimme wie vorher.
    Adrian war außer Atem. Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand einen heftigen Schlag vor die Brust versetzt. Seine eigene Kultur. Sein Volk. Äußerlich glichen sie ihm, aber innerlich waren sie grundverschieden.
    Das konnte nicht sein.
    Oder doch?
    »Ihr … tötet … hier lange Menschen?« fragte Adrian und machte nicht einmal den Versuch zu verbergen, wie ungläubig er klang. Gabe. Leen. Hatten sie den Marktplatz noch verlassen können? Hatte er sie, ohne es zu wissen, in den Tod geschickt?
    »Das müssen wir. Das ist Gesetz«, gab der Mann zurück.
    »Weil der Roca es gesagt hat?« fragte Adrian, der immer noch nicht glauben wollte, was er da hörte.
    »Es steht nicht in den Worten, die der Tabernakel benutzt.«
    Adrian fühlte eine gewisse Erleichterung.
    »Es steht in den Worten, die der Tabernakel überarbeitet hat.«
    »Sie haben Veränderungen in den Geschriebenen und Ungeschriebenen Worten vorgenommen?«
    »Der Tabernakel hat die Worte abgeändert«, bestätigte der Mann,

Weitere Kostenlose Bücher