Fey 07: Die Augen des Roca
als spreche er zu einem Kind. Als sei dieser Umstand allgemein bekannt. »Sie haben vieles herausgenommen, woran sie nicht glauben wollten. Aber es steht in unseren Worten, im Original.«
Adrians Handflächen waren feucht geworden. Er spürte, wie die beginnende Tageshitze auf seinem Gesicht brannte.
»Er will nichts davon hören, er will nichts über seine langen Freunde wissen«, warf der Besitzer ein.
Schnell schüttelte Adrian den Kopf. »Nein, nein«, protestierte er. »Ich möchte es hören. Wirklich.« Er mußte irgendeine Erklärung für seine körperliche Reaktion finden. »Ich bin nur entsetzt, daß der Tabernakel etwas Heiliges abgeändert hat.«
»Genau wie wir. Aber das liegt schon Generationen zurück. Der Tabernakel hat sich zu intensiv mit sich selbst und zu wenig mit den Seelen der Lebenden beschäftigt. Es hat seine Wurzeln vergessen. Nicht einmal der Rocaan war noch mit dem Roca verbunden. Das kommt einem Bruch mit unseren Traditionen gleich.«
Adrian wollte nichts davon hören. Er wollte noch mehr über die Langen erfahren.
»Was diese langen Fremden von heute morgen betrifft«, begann er, konnte aber die Furcht in seiner Stimme nicht verbergen, er, der immer so stolz auf seine unerschütterliche Verfassung gewesen war. Aber nicht einmal die Fey hatten ihn je so schockiert. »Die Leute, mit denen ich gefrühstückt habe. Ihr habt sie getötet, und jetzt seid ihr hinter mir her, weil ich mit ihnen zusammen war?«
Eigentlich hatte er die Absicht gehabt, mit dieser Frage seine Furcht zu erklären, die beiden Männer in dem Glauben zu wiegen, dies sei es, wovor er sich fürchtete. Erst als er die Worte ausgesprochen hatte, begriff Adrian, daß er damit etwas ausgesprochen hatte, was ihn zutiefst verängstigte.
Gabe und Leen waren tot, dort umgebracht, wohin sie schutzsuchend geflohen waren.
Jetzt war die Reihe an ihm. Er würde Fledderer und Coulter nicht mehr rechtzeitig warnen können.
»Nein, sie sind nicht tot«, sagte der Mann. »Wir töten die Langen nicht, es sei denn, sie bleiben hier. Wir fordern sie auf zu gehen. Dann sind sie in Sicherheit.«
Adrian schluckte. Er konnte seine Nervosität nicht mehr unterdrücken. »Warum seid ihr dann zu mir gekommen?«
»Falls du dich ihnen angeschlossen hast«, sagte der Mann, »dann mußt du auch gehen. Wenn du sie aber nur flüchtig kennst, willst du sie vielleicht warnen, daß sie aus Constantia wegbleiben sollen.«
»Ich habe sie nur bei der Gelegenheit kennengelernt, von der ich euch erzählt habe«, erwiderte Adrian.
Der Mann zuckte die Achseln. »Dann kannst du bleiben. Du solltest jedoch wissen, daß du dieselbe Bestrafung wie sie erhalten wirst, falls du gelogen hast.«
»Bestrafung«, wiederholte Adrian. »Für nichts?«
Der Mann hob leicht das Kinn. »Allein der Atem der Langen bringt uns Verderben«, erwiderte er. »Es gibt genügend Leute hier, die glauben, daß wir viel zu nachsichtig mit den Langen sind, wenn wir sie einfach weggehen lassen. Viele glauben, daß wir sie töten sollten, sobald wir sie sehen.«
»Das tut ihr aber nicht?« fragte Adrian und hoffte, daß er sich nicht täuschte.
Der Blick des Mannes wurde ein weniger milder. Sein Gesichtsausdruck war gelöster, und seine Augen blickten wärmer. »Der Roca war ein harter Mann, der in einer harten Zeit lebte«, antwortete er. »Er sagte immer, diese Zeiten würden wiederkommen und wir sollten uns darauf vorbereiten. Das tun wir seit Generationen. Aber weil wir uns so lange darauf vorbereitet haben, müssen wir uns auch vor Augen halten, daß der Roca uns bat, unseren Mitmenschen Mitgefühl entgegenzubringen.«
Der Mann lächelte, und dieses Lächeln veränderte sein ganzes Gesicht. Er schien selten zu lächeln. Sein Gesicht war nicht daran gewöhnt. Das Lächeln wirkte irgendwie schmerzhaft.
»Wir haben diesen langen Fremden Mitgefühl entgegengebracht. Wenn wir sie ein zweites Mal treffen, werden wir uns an die Worte des Roca erinnern und uns auf harte Zeiten vorbereiten.« Sein Lächeln erlosch. »Das ist deine einzige Warnung.«
Er drehte sich um und stapfte davon. Der Besitzer blieb stehen. Adrian fühlte, wie ihn ein Schauer überrieselte.
»Ich habe dich beobachtet«, sagte der Besitzer. »Du arbeitest gut. Solange du allein zur Arbeit erscheinst, kannst du hier bleiben.«
»Danke«, erwiderte Adrian. Er hatte Mühe zu sprechen. Selbst in den eigenen Ohren hörte sich seine Stimme sonderbar an. Dem Besitzer schien aber nichts aufzufallen. Er nickte
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