Fey 07: Die Augen des Roca
und hieb sie in den vor ihm liegenden Steinbrocken. Ihr metallischer Klang vermischte sich mit dem der anderen Spitzhacken ringsum. Eine fast musikalische Arbeit: das Klirren der Hacke, die auf den Stein traf, das Grunzen der Arbeiter, die quietschenden Räder der Schubkarren, die vorüberrumpelten.
Jetzt hatte sein Pickel Risse im Stein hinterlassen, ohne ihn gleich zu zerkleinern. Adrian hatte schon häufiger beobachtet, daß der rote Stein eine graue Farbe annahm, wenn er brach. Mit fast entsetztem Gesichtsausdruck hatte Fledderer auf den ersten Stein geblickt, den er gespalten hatte.
»Mir gefällt es nicht, wie sich das anfühlt«, sagte er.
Aber Adrian hatte Fledderers Empfindungen weiter nicht beachtet, denn wer zuviel redete, wurde sofort aus dem Steinbruch entlassen, und am Abend, als er zum Lager zurückgekehrt war, hatte er Fledderers Bemerkung vergessen.
Jetzt mußte er wieder daran denken. Jedesmal, wenn sein Pickel auf den Felsen traf, bildete sich eine tiefrote Linie, die verschwand und beim nächsten Schlag erneut zu sehen war.
Adrian war froh, daß sie sich darauf geeinigt hatten, nur ein paar Tage im Steinbruch zu arbeiten. Es war eine knochenharte, stumpfsinnige Plackerei. In einigen Tagen hatten sie genügend Geld, um eine Woche essen zu können. Dann aber würden sie längst in einer anderen Stadt sein, an einem anderen Ort. Sie würden endlich das perfekte Versteck finden, in dem sie sich für längere Zeit aufhalten konnten und das sie nach Fledderers Ansicht unbedingt brauchten. Dort würde man sie erst einmal in Ruhe lassen.
Jedenfalls hoffte Adrian das.
Eine Hand berührte seinen schweißbedeckten Arm. Es war Fledderers.
»Hör nicht auf zu arbeiten«, flüsterte er. »Sieh mal dort.«
Er stand so dicht neben Adrian, daß kein anderer seine Worte hören konnte. Dann ging er wieder zu seinem Steinbrocken. Sein Pickel hatte ein tiefes Loch in der Mitte geschlagen, aber noch mußte der richtige Punkt gefunden werden, um den Stein zu spalten.
Adrian drosch seinen Pickel kräftig in das Gestein, drosselte aber das Tempo. Er suchte mit den Augen das Gelände ab, bis er gefunden hatte, was Fledderer meinte.
Ein Mann, den Adrian noch nie zuvor gesehen hatte, stand am Tor des Steinbruchs und unterhielt sich mit dem Besitzer. Der Mann trug einen Pullover, Reithosen und Stiefel. Die Kleidung eines Bergbewohners, der keine harte körperliche Arbeit im Kalten verrichten mußte. Er gestikulierte beim Reden und hob die Hände, als wolle er auf etwas Langes hinweisen.
Oder Hochgewachsenes.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Coulter, der näher herangekommen war.
»Mir auch nicht«, stimmte Adrian zu.
»Glaubst du, es hat etwas mit uns zu tun?« wollte Coulter wissen.
»Ich glaube, das sollten wir in Betracht ziehen«, meinte Fledderer.
»Du leidest ja auch unter Verfolgungswahn«, gab Coulter zurück, und das war nicht als Witz gemeint. Coulter hatte vor zwei Wochen aufgehört, Witze zu reißen.
»Stimmt genau«, erwiderte Fledderer. »Genau deshalb bin ich noch am Leben.«
»Ich glaube, wir sollten herausfinden, was sie wollen«, schlug Adrian vor.
»Und ich glaube, wir sollten verschwinden«, erwiderte Fledderer.
»Aber wir haben unseren Tageslohn noch nicht«, wandte Coulter ein.
»Wir haben auch noch keinen ganzen Tag gearbeitet«, sagte Fledderer.
Adrian spürte die Spannung zwischen den beiden. Seine Nackenhaare sträubten sich. Kein angenehmes Gefühl, aber er wollte keinesfalls gehen, bevor er nicht in Erfahrung gebracht hatte, was hier vor sich ging.
»Ihr beide verschwindet jetzt«, zischte er leise. »Schnappt euch Gabe und Leen und geht zum Lager zurück. Wenn ich bis morgen früh bei Tagesanbruch nicht dort bin, brecht ihr ohne mich auf.«
»Wir können dich nicht allein hier lassen«, sagte Coulter, und seine Stimme wurde dabei ein wenig lauter.
»Doch, das könnt ihr«, antwortete Adrian. »Gabe ist jetzt der Wichtigste, und das wißt ihr genau.«
Coulter schüttelte den Kopf. »Ich bleibe bei dir. Ich kann dich verteidigen.«
Adrian lächelte. Manchmal war Coulter mehr wie ein Sohn für ihn als Luke. Das hatte Adrian bewiesen, als er Luke auf dem Hof zurückließ, damit er sich um die Farm kümmerte, während Adrian selbst mit Coulter zu einer Reise aufbrach. Die langjährige gemeinsame Zeit als Gefangene der Fey, in der sie einander beigestanden hatten, hatte sie eng zusammengeschweißt.
Sie hatten sich gegenseitig das Leben gerettet.
»Du darfst Gabe nicht
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