Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
immer so ehrlich wie möglich gewesen. Daran mußte sie sich auch jetzt halten.
»Unter entsprechenden Umständen ist jedes Leben Mittel zum Zweck. Sogar unser eigenes«, entgegnete sie leise.
»Und woran erkenne ich diese Umstände?« fragte Nicholas.
»Ich habe dich noch nie belogen.«
»Aber du hast auch nicht alle meine Fragen beantwortet.«
»Ich verspreche, es dir vorher zu sagen, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen.« Damit brach sie ihren Eid. Vollkommene Ehrlichkeit war bei Schamanen nicht üblich. Sie standen den Mysterien zu nahe, um alles preiszugeben, was sie wußten. Aber die Schamanin hatte keine andere Wahl, wenn sie Nicholas’ Vertrauen wiedergewinnen wollte.
»Also hängt alles davon ab, ob ich dir vertraue.« Nicholas hielt den Fuß seiner Tochter fest. Die Schamanin konnte nicht sehen, ob der Huf sich vollständig zurückverwandelt hatte. Nicholas’ Hand verdeckte ihn.
»Das stimmt«, sagte die Schamanin.
»Kann ich nicht einfach warten?« fragte Nicholas. »Können wir nicht abwarten, ob Arianna von alleine zurückkommt?«
»Das kannst du tun«, stimmte die Schamanin zu. »Vielleicht passiert es nie. Oder im nächsten Augenblick. Wenn du unbedingt noch ein Risiko eingehen willst …«
»Und du bist wirklich die einzige, die Arianna helfen kann?«
»Nein«, erwiderte die Schamanin. Dies hatte sie ihm eigentlich nicht erzählen wollen, aber sie würde es trotzdem tun. »Jeder, der Visionäre Kraft besitzt, kann ihr helfen. Sowohl Visionäre als auch Zaubermeister können Verbindungen bereisen.«
»Also könnte auch mein Sohn seiner Schwester helfen«, schlußfolgerte Nicholas.
»Wenn du ihm vertraust«, bestätigte die Schamanin.
Nicholas senkte den Kopf. Die Schamanin wußte genau, was er dachte. Nicholas war immer wie ein offenes Buch für sie gewesen. Sie hatte sich oft darüber gewundert, daß eine so starke Bindung zwischen ihnen beiden bestand, obwohl sie so unterschiedlich waren, und sich gefragt, ob Nicholas ihre Gefühle teilte. Sie wußte, daß er sie mochte, aber sie bezweifelte, daß seine Zuneigung für sie so tief war wie ihre für ihn.
Jetzt dachte Nicholas darüber nach, wer seine Tochter retten sollte. Natürlich am besten sein Sohn, aber den hatte er nie kennengelernt, jedenfalls nicht als Erwachsenen. Außerdem war sein Sohn von den Fey erzogen worden. Da war es wohl besser, der Schamanin zu vertrauen, die er wenigstens kannte, als einem Sohn, den er nicht kannte.
Die Schamanin wußte, daß dieser Gedanke Nicholas traurig stimmte, aber sie war nicht gekränkt. Sie hatte es nicht anders erwartet. Der Mann hatte in seinem Leben viele schwere und ungewöhnliche Verluste erlitten. Die Tatsache, daß er seinen eigenen Sohn nicht kannte, war nur einer davon.
»Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, seufzte er schließlich, und in seiner Stimme schwang noch mehr Zweifel mit, als die Schamanin befürchtet hatte.
»Ich werde Arianna kein Leid zufügen«, versprach die Schamanin.
»Das will ich dir auch raten.« Nicholas’ Stimme klang grimmig. Wehe dem, der seiner Tochter absichtlich etwas antat. Nicholas würde sich ohne zu zögern rächen.
»Während ich es versuche, sind wir alle in der Verbindung gefangen«, erklärte die Schamanin. »Hier ist nicht der richtige Ort dafür. Wenn uns jemand überfällt, sterben wir alle gleichzeitig.«
»Hast du nicht gesagt, daß Eile geboten ist?«
»Schon«, stimmte die Schamanin zu. »Aber wir müssen uns zuerst an einen geschützten Platz begeben. Der Ort der Macht ist nicht mehr weit entfernt. Dort sind wir sicher, und vielleicht stehen mir ja die Mysterien bei, wenn es nötig ist.«
»Hast du nicht vorhin behauptet, mein Sohn sei dort?«
»Ja.«
»Wenn wir schutzlos sind …«
»Gabe darf Arianna nichts tun«, erklärte die Schamanin. »Wenn einem von uns etwas zustößt, betrifft das auch sie. Das weiß er. Er kennt das Risiko.«
»Und seine Gefährten?«
»Die werden tun, was er sagt.«
»Hoffentlich hast du recht«, seufzte Nicholas. Er schob seine Hände unter Ariannas Achseln. »Nimm du Ariannas Kleider. Wir haben jetzt keine Zeit, sie anzuziehen, aber wir decken sie damit zu, bis wir den Ort der Macht erreichen.«
»Also bist du einverstanden?« vergewisserte sich die Schamanin noch einmal, während sie Ariannas Hemd, Hose und Umhang, dazu ihre Schuhe und das Bündel aufhob.
»Ich habe anscheinend keine andere Wahl.«
Nicholas beobachtete, wie die Schamanin die Kleider über seine Tochter
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