Fey 09: Die roten Klippen
sind sie uns ebenbürtig.«
Rugad nickte. »Aber das wissen sie nicht. Vieles von ihrer Zauberkraft liegt im verborgenen. Ich glaube, sie wurde vom Tabernakel gehütet, und wir haben den Tabernakel zerstört.«
»Das würde beispielsweise das Weihwasser erklären«, überlegte Kendrad.
»Ja«, bestätigte Rugad. »Nicholas ist ein direkter Abkömmling des Roca, der die Inselreligion begründete. Ich glaube, daß dieser Roca den Ort der Macht entdeckt und sich seiner bedient hat.«
»An einem Ort der Macht sind sie unerreichbar für uns«, sagte Kendrad. Sie war niemals in den Eccrasischen Bergen gewesen, aber wie alle großen Militärführer der Fey wußte sie über die Stärken und Schwächen eines solchen Ortes Bescheid.
»Natürlich können wir an sie herankommen«, widersprach Rugad. »Vorausgesetzt sie wissen nicht, über welche Macht sie verfügen.«
»Und wenn doch?«
»Deswegen schicke ich dich hin.«
»Besten Dank«, gab Kendrad trocken zurück. Aber Rugad wußte, daß sie seine Beweggründe verstand. Er wagte es nicht, einen Ort der Macht aufzusuchen, wenn dort jemand wußte, wie man diesen Ort benutzte. Ein solches Risiko durfte er nicht eingehen.
»Behalte dieses Gespräch für dich«, bat Rugad. »Alle Versuche, unseren Ort der Macht einzunehmen, waren erfolglos, aber dieser Ort auf der Insel wird nicht von Fey bewacht. Wir laufen womöglich Gefahr, unsere Truppen in zwei Lager zu spalten.«
»Glaubst du wirklich, jemand könnte diesem Ort soviel Macht entnehmen, um die Schwarze Familie herauszufordern?« wollte Kendrad wissen.
Rugad sah sie nicht an. Er wagte es nicht. Ebensowenig wie er es wagte, ihre Frage ehrlich zu beantworten.
»Ich glaube, die Magie dafür ist seit langem verloren«, antwortete er.
Kendrad schwieg. Unwillkürlich nahm sie Rugads Haltung an, der immer noch die Hände hinter dem Rücken verschränkt hielt und auf die Feuersbrunst starrte. Die aufgehende Sonne schien auf Kendrads glatte Züge. Sie sah nicht mehr aus wie ein junges Mädchen, sondern wie eine reife Frau von zeitloser Schönheit. Ihre Haut war vom Wetter rauher, ihre Züge härter geworden. Rugad fragte sich plötzlich, warum er sie nicht zur Frau genommen hatte.
Wahrscheinlich, weil er sie als vertrauenswürdige Freundin weitaus nötiger brauchte. Er wollte ihre Loyalität nicht verlieren.
»Zwei Orte der Macht«, wiederholte sie. »Glaubst du, es gibt noch einen dritten?«
»Ja«, bestätigte er.
»Sobald wir zwei haben, finden wir auch den dritten«, sagte sie langsam. Seit Generationen war dies der Wunsch der Fey. »Dann halten wir das Magische Dreieck in Händen.«
»Und haben damit die Mittel, die gesamte Welt zu verändern«, ergänzte Rugad leise.
Kendrad sah ihn an. »Hast du schon immer an die beiden Orte der Macht geglaubt?« fragte sie.
Rugad zuckte die Achseln. »Ich habe ihre Existenz jedenfalls nicht abgestritten.«
»Und seit wann hegst du den Verdacht, sie könnten sich hier befinden?«
»Als ich von meinen Urenkeln erfuhr. Als ich begriff, daß weder Jewel noch Rugar diesen Platz besetzen konnten. Als ich erfuhr, daß es auf der Insel einen Zaubermeister gibt, der kein Fey ist.«
Kendrad atmete leise aus. »Das ändert so einiges. Alles.«
»Ja«, stimmte Rugad zu. »Alles.«
»Wir kämpfen gegen Ebenbürtige.«
»Nein.« Rugad lächelte sie an. Deswegen war er der Schwarze König und sie nicht mehr als eine mäßig begabte Visionärin. Trotz ihrer guten Ratschläge war sie nicht in der Lage, die gesamte Situation zu überblicken. Das war nur sehr wenigen gegeben. »Wir haben unsere Magie angenommen. Wir haben sie benutzt, bearbeitet, entwickelt. Die Inselbewohner dagegen haben versucht, ihre Magie zu kontrollieren. Sie haben sie vergraben, sich von ihr distanziert und sie den Schwarzkitteln überlassen, von denen nur die wenigsten über wahre Magie verfügten. Selbst König Nicholas hat trotz seiner körperlichen Tapferkeit bisher keinerlei Anzeichen magischer Fähigkeiten erkennen lassen.«
»Ganz im Gegensatz zu seinen Kindern.«
»Man muß ihm zugute halten, daß er ihre Begabung nicht unterdrückt hat. Trotz der Mißbilligung seines Volkes. Es gibt auf der Insel sogar einen Namen für alle, die sich dieser verachteten Magie bedienen.« Rugad löste die Hände. Was er ihr zu erzählen hatte, bereitete ihm zu viel Vergnügen, um ruhig stehenzubleiben. »Man bezeichnet sie als Dämonenbrut. Es gibt keine genau Übersetzung in Fey, aber man hat es mir beschrieben als die
Weitere Kostenlose Bücher