Fey 09: Die roten Klippen
starrte auf die Stelle neben Nicholas, als könnte sie Jewel sehen. »Bist du hier?«
»Ja«, antwortete Nicholas. »Sie ist zurückgekommen.«
»Ich will jetzt einiges klarstellen«, wandte sich Jewel an die Gruppe. »Rugad befindet sich noch im Palast. Vielleicht wird er sogar dort bleiben. Er ist auf jeden Fall sehr wütend.«
Gabe wiederholte Jewels Worte für die anderen: Das ständige Übersetzen zerrte an Nicholas’ Nerven, auch wenn er wußte, daß es nötig war.
»Weiß er, was geschehen ist?« fragte Nicholas.
»Ich bin mir ziemlich sicher«, erwiderte Jewel. »Ich bin aber nicht lange genug geblieben, um es mit Sicherheit herauszufinden. Ich wollte nur wissen, wieviel Zeit uns bleibt.«
»Zeit wofür?«
»Bis seine Armee hier eintrifft.«
»Er hat eine Armee hierhergeschickt?« Ariannas Stimme klang gereizt. Das ganze Mädchen verhielt sich gereizt. Sie stand mit verschränkten Armen und blitzenden Augen vor ihnen, als wollte sie alles abstreiten, was man ihr erzählte.
Nicholas unterdrückte einen Seufzer. Diese Angewohnheit kannte er von ihr bereits aus frühesten Kindertagen, aber in schwierigen Zeiten hatte sie sich noch nie so verhalten.
»Rugad weiß, wo wir sind«, erklärte Coulter gelassen. »Wir müssen in der Lage sein, diesen Ort hier zu verteidigen.«
Auch wenn Nicholas fest entschlossen war, diesen Jungen, der Arianna viel zu eindringlich und gefühlvoll ansah, nicht zu mögen, konnte er nicht anders, als ihn sympathisch zu finden. Coulter hatte einen klaren Verstand und ein freundliches Wesen.
»Ja«, gab Arianna zynisch zurück. »Die unerschrockenen Sechs, die Verteidiger der Insel.«
»Nicholas«, sagte Jewel, »bring Arianna und mich an ein ruhiges Plätzchen.«
Gabe, offenbar unsicher, ob er Jewels Worte wiederholen sollte, warf Nicholas einen hilfesuchenden Blick zu. Nicholas zuckte die Achseln. Am liebsten hätte er selbst ein ruhiges Plätzchen aufgesucht. Dann nickte er Gabe zu.
Gabe wiederholte, was Jewel gesagt hatte.
»Nein«, widersetzte sich Arianna. »Worüber kann sie schon mit mir sprechen wollen?« Nicholas spürte, wie verletzt Arianna war. Sie hatte Gabes Erklärungen verstanden, war aber dennoch zutiefst getroffen. Wenn Arianna verletzt war, versuchte sie, andere ebenfalls zu verletzen.
»Wir müssen deinen Zorn aus der Welt schaffen«, erklärte Jewel und sah ihre Tochter an. »Er ist unpassend und kann uns bei dem, was wir vorhaben, sehr schaden. Wir brauchen dich auf unserer Seite. Du sollst uns nicht vom Wesentlichen ablenken.«
Gabe blickte seine Mutter an und biß sich dann auf die Unterlippe. Undeutlich murmelnd protestierte er: »Das kann ich ihr nicht sagen.«
»Doch, das kannst du«, rief Arianna. »Erzähl schon.«
Gabe seufzte. Er saß in der Falle. Schließlich wiederholte er Jewels Worte.
»Unpassend?« entrüstete sich Arianna. »Es ist unpassend, daß ich nicht weiß, daß mein Vater und mein sogenannter Bruder …«
Nicholas und Gabe stöhnten beide gleichzeitig auf. Nicholas musterte seinen Sohn. Er schien noch verletzlicher zu sein, als Nicholas angenommen hatte.
»… den Rat von einer Frau annehmen, die vor fünfzehn Jahren gestorben ist. Falls du überhaupt jemals gelebt hast.«
»Sie lebt jetzt«, sagte Nicholas leise.
»Nicht für mich, soviel steht fest«, gab Arianna grob zurück.
»Ari, wir haben jetzt keine Zeit …«, begann Nicholas, aber seine Tochter fiel ihm in die Rede.
»Ihr könnt doch von diesem Wesen keinen Rat annehmen!« empörte sich Arianna. »Ich kann einfach nicht glauben, daß ihr diesem Ding euer Vertrauen schenkt.«
»Ich glaube, daß es Jewel ist«, sagte Coulter. »Obwohl ich sie nicht sehen kann.«
»Würdest du die Mysterien verstehen, würdest du es ebenfalls wissen«, sagte Fledderer.
»Als ob du sie verstündest!« fuhr ihn Arianna an. »Du verfügst nicht einmal über magische Kräfte!«
Fledderer erhob sich. »Und du bist nicht besser als jede andere Fey, die mir über den Weg gelaufen ist. Du gibst deiner Arroganz den Vorrang vor deiner Intelligenz.«
»Und genau deshalb müssen wir sie beruhigen, Nicholas«, sagte Jewel. »Sonst zwingt sie uns alle dazu, unsere Zeit nur mit ihr zu verbringen.«
Das war ihm auch bewußt, aber er konnte nur zu gut nachempfinden, was Arianna fühlte, wie verletzt sie war, wie erschöpft, und wie sie unter ihrem Verlust litt.
Auch er hatte das alles verloren.
»Ari«, sagte er.
»Ich höre dir nicht mehr zu!« rief sie. »Du vertraust mir
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