Fey 09: Die roten Klippen
darauf, diesen Ort der Macht zu retten, dich und Gabe von meinem Großvater fernzuhalten und die Blaue Insel in der Hand der Familie zu belassen. Deine Gefühle zählen dabei nicht. Du bist nicht die einzige, die etwas verloren hat«, sagte Jewel. »Gabe hat seine Adoptivfamilie verloren, seine ganze bisherige Welt. Du hast immer noch deinen Vater. Er hingegen ist einsamer, als du es dir jemals vorstellen kannst. Du hast eine Chance, erwachsen zu werden, eine Chance, die Frau herauszukehren, die du sein kannst, und diese Chance ist jetzt, Arianna. Das Leben ist voller Verluste. Aber es ist auch reichhaltig. Ohne die Erfahrung des Verlusts weiß man seine Reichhaltigkeit jedoch nicht zu schätzen.«
»Weiß ich.« Arianna klang eine Spur gereizt.
Nicholas preßte die Hände fester zusammen. Er wollte seine Tochter verteidigen, wollte Jewel untersagen, sie weiterhin so anzufahren, obwohl er wußte, daß Jewel recht hatte. War das der Grund dafür, daß Ari so oft über die Stränge schlug? Weil er es zugelassen hatte? Weil er sich nicht traute, sie zu disziplinieren?
Weil er zu viel Angst davor hatte, sie zu verletzen? Sie zu verlieren?
»Dann weißt du wohl auch, daß eine Herrscherin nicht an sich denkt, sondern stets daran, was für das Volk, das sie beherrscht, das Beste ist«, fuhr Jewel fort.
Nicholas hob den Kopf. In diesem Moment hörte sie sich wie sein Vater an. Diese ganze Diskussion glich, wenn man ein gutes Stück Leidenschaft wegließ, den Diskussionen, die er während der ersten Invasion der Fey mit seinem Vater geführt hatte.
»Willst du damit sagen, daß ich nichts von dir wissen darf?« fragte Arianna mit zitternder Stimme.
»Momentan nicht, nein«, antwortete Jewel. »Nun hast du es aber trotzdem versucht. Du hattest recht, das alles in Frage zu stellen, aber nicht vor allen anderen. Indem du das tust, untergräbst du die Autorität deines Vaters.«
Gabes Gesicht war rot angelaufen. Es sah aus, als seien ihm die Worte, die er zu wiederholen gezwungen war, äußerst unangenehm. Jedenfalls war Nicholas froh, daß nicht ihm diese Aufgabe zugefallen war.
»Ich wollte es wissen«, sagte Arianna. »Ich hatte das Recht dazu.«
»Diesbezüglich hattest du keinerlei Recht«, erwiderte Jewel. »Das ist eine Sache zwischen Gabe, Nicholas und mir. Sie haben darüber zu entscheiden, ob meine Anwesenheit publik gemacht wird oder nicht.«
»Aber du bist meine Mutter!« Ariannas Ausruf endete in einem Klagelaut. Ihre Augen schwammen in Tränen.
»Richtig«, sagte Jewel. »Und es tut mir so leid, daß alles so kommen mußte. Es tut mir leid, daß ich nicht auch für dich sichtbar sein kann, es tut mir leid, daß ich dich nicht berühren kann. Es tut mir leid, daß wir keine Zeit miteinander verbringen konnten, richtige Zeit, so wie Mutter und Tochter. Aber ich glaube, es gibt etwas, was dir dein Vater nicht erzählt hat.«
Arianna warf ihm eine kurzen Blick zu. Nicholas spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Was wollte Jewel jetzt schon wieder enthüllen? Mußte er sich das gefallen lassen?
»Ich vermute, daß du, wäre ich am Leben geblieben, keine Chance gehabt hättest«, sagte Jewel. »Ich habe nie zuvor einen Gestaltwandler zur Welt gebracht, und auch keine der Hebammen von der Insel hat Erfahrung darin. Du wärst wahrscheinlich gestorben, bevor wir überhaupt gewußt hätten, was wir tun sollen.«
»Willst du damit sagen …« Ariannas Atem stockte in der Kehle und hörte sich beinahe wie ein Schluchzen an. »… daß wir ohnehin nicht gemeinsam hätten leben können? Warum?«
»Weil die Mächte es so wollen«, antwortete Jewel leise. »Sie geben einem etwas und nehmen einem dafür etwas anderes weg. Für gewöhnlich ist das Geschenk wertvoller als das, was man dabei verliert.«
»Aber du hast doch gesagt, ich sei es nicht wert, eine Fey zu sein«, sagte Arianna.
»Dafür mache ich ausschließlich deinen Vater verantwortlich.« Bei diesen Worten zuckte Nicholas zusammen. »Andererseits hatte er nicht die Möglichkeiten, aus dir eine Fey zu machen. Ich fürchte, du mußt noch ein paar Nachhilfestunden bei mir nehmen, in denen du hauptsächlich zuhören wirst. Du kannst hier nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen. Falls du trotzdem darauf bestehst, müssen die anderen womöglich alle sterben. Du mußt mit ihnen zusammenarbeiten und deinem Vater die Entscheidungen überlassen. Stell ihn nicht zu sehr in Frage, zumindest nicht in der Öffentlichkeit.«
Bei dem letzten Satz senkte Gabe den
Weitere Kostenlose Bücher