Fey 10: Das Seelenglas
aus seinem Mund entwichen. Er roch auch ein wenig verbrannt, als hätte ihn das Licht innerlich ausgebrannt.
Sie schleppten ihn in die Höhle und setzten ihn unweit der Glaskugeln ab. Coulter trat mit dem Fuß nach einem der Gefäße, so daß es die Treppe hinunterpolterte. Das Glas war erstaunlich widerstandsfähig. Es klirrte zwar, als es über den Boden hüpfte, doch es zerbrach nicht.
»Wir haben ihn umgebracht«, sagte Coulter, ohne Nicholas anzusehen. »Wir und deine Kugeln und dieses Licht. Wir haben ihn umgebracht.«
»Der Schwarze König hat ihn umgebracht«, widersprach Nicholas.
»Wir haben auch die anderen umgebracht.«
»Sonst hätten sie uns getötet.«
»Weißt du, wie viele Menschen ich umgebracht habe?« schrie Coulter. »Weißt du es?«
»Nein«, erwiderte Nicholas. Er wollte nicht einmal daran denken. Er konnte es nicht. Jeden Augenblick konnte der Schwarze König den Berg heraufkommen.
»Ich auch nicht«, sagte Coulter jetzt ganz leise.
Nicholas packte ihn an beiden Armen und drehte ihn um. »Wir müssen Leen und Fledderer holen. Wir müssen es wahrscheinlich noch einmal versuchen.«
»Damit sie auch noch sterben? Wohl nicht«, sagte Coulter. »Was willst du eigentlich noch von ihnen? Sollen sie mit ihren beiden Schwertern der ganzen Fey-Armee entgegentreten?«
»Die Fey-Armee ist zerschlagen.«
»Nicht restlos. Hast du nicht nach unten geschaut? Der Schwarze König hat Schattenlande um sie herum errichtet. Die meisten Krieger sind noch am Leben. Sobald sie sehen, daß wir die Kugeln nicht mehr benutzen, ziehen sie wieder gegen uns los. Was willst du dann tun? Sie mit den restlichen Kugeln bewerfen? Mich gegen sie einsetzen? Damit ich sie alle töte? Das werde ich nicht tun! Ich kann es nicht!«
»Coulter …«
»Nein«, sagte Coulter fest entschlossen. »Das ist dein Krieg, nicht meiner. Ich habe meinen besten Freund verloren, und jetzt habe ich den einzigen Menschen verloren, der sich jemals um mich gekümmert hat. Ich mache einfach nicht mehr mit. Sollen sie diesen Ort haben, Nicholas. Sie haben ohnehin gewonnen.«
»Und was ist mit Arianna? Mit Gabe?«
»Sie sind doch selbst Fey, oder nicht?« Diese letzte Frage kam ganz leise. Als wollte Coulter sie eigentlich nicht aussprechen. »Ihnen wird es gutgehen. Nur du wirst sterben müssen. Du und ich, vielleicht noch Fledderer und Leen. Aber das ist jetzt auch schon egal. Dein Geschlecht wird weiterleben. Das meine war nie dafür vorgesehen. Wen kümmert das alles überhaupt noch, Nicholas? Laß sie gewinnen.«
Der Junge nannte ihn Nicholas. Nicht mehr Herr, auch nicht mehr König. Einfach nur Nicholas. Hatte er denn recht? Hatten die Fey gewonnen?
»Ich darf sie nicht gewinnen lassen«, erwiderte Nicholas.
»Dann mußt du eben allein gegen sie kämpfen«, sagte Coulter und ließ sich neben Adrian auf den Boden fallen, nahm Adrians Körper in die Arme und tat damit unmißverständlich kund, daß er Nicholas nicht mehr zuzuhören gedachte.
Es gab auch nichts mehr zu sagen. Coulter hatte recht. Was wollte Nicholas noch tun, wenn der Schwarze König den Berg heraufkam? Versuchen, ihn und seine verbliebene Streitmacht mit einem einzigen Schwert zu töten?
Die bebilderten Wandteppiche wußten womöglich eine Antwort auf sein Dilemma, aber er hatte nicht genug Zeit, um sie eingehend zu studieren. Es war auch zu spät, die Wesen aus dem Brunnen anzurufen. Coulter wollte ihm nicht mehr helfen. Adrian war tot, und Nicholas traute Fledderer und Leen nicht genug, um sie so nah mit dieser Art von Macht in Kontakt zu bringen.
Er sah nach hinten. Der rotierende Lichtkreis, kaum größer als die Krone, die er bei der Krönungszeremonie getragen hatte, bei der Jewel gestorben war, war das einzige Anzeichen dafür, daß seine vier Fey-Gefährten noch bei ihm waren.
Coulter wiegte Adrians Körper in den Armen.
Nicholas war auf sich allein gestellt. Falls es ihm gelang, den Schwarzen König irgendwie zu töten, dann sollte es so sein. Und falls es das Blut gegen das Blut aufbrachte, dann konnte er auch nichts dagegen tun. Kein einziges von all den theoretischen Argumenten hatte ihm das bisher beweisen können. Nur weil seine Kinder zum Geschlecht des Schwarzen Throns gehörten, gehörte er noch lange nicht dazu.
Darauf mußte er vertrauen. Der Schwarze König hielt es offensichtlich ebenso.
Nicholas ging zu der Wand mit den Schwertern hinüber und suchte sich eines aus. Es lag angenehm leicht in der Hand, als hätte er es schon immer
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