Fey 10: Das Seelenglas
nachdem ich dich befreit habe.«
»Nein, das ging nicht. Du mußt mit Matthias zusammenarbeiten.«
»Weshalb denn?« fragte Matthias.
»Weil es des ganzen Blutes des Roca bedarf, um diese Aufgabe zu meistern«, antwortete der Führer. »Du trägst das Blut des zweiten Sohnes in dir, und dein Freund hier trägt das Blut des ältesten Sohnes in sich. Diese Macht war allein für den Roca gedacht oder für seine gemeinsam handelnden Nachfahren.«
Nicholas sah Matthias erstaunt an. »Bist du wirklich der zweite Sohn?«
»Vermutlich«, erwiderte Matthias.
»Dann warst du also doch der richtige Rocaan.«
Matthias hob die Schultern. »Offensichtlich sah der Fünfzigste Rocaan Dinge, die außer ihm niemand sah.«
»Dann sind wir miteinander verwandt«, sagte Nicholas.
»Sehr entfernt.«
»Und wenn ich dich damals getötet hätte?«
»Dann hättest du dein Blut mit dem seinen über den Tod miteinander in Kontakt gebracht«, mischte sich der Führer ein. »Und das hätte ein riesiges Chaos hervorgerufen.«
»Wie bei den Fey«, sagte Nicholas.
»Ihr Blut unterscheidet sich von dem euren. Es stammt aus einem anderen Brunnen. Ihr habt nicht das gleiche Blut, auch wenn, wie mir gesagt wurde, das bei deinen Kindern so ist.«
»Ja«, flüsterte Nicholas. Er sah mit einem Mal blaß und erschrocken aus. Matthias war sich nicht ganz sicher, was das alles zu bedeuten hatte, nur daß die Vorstellung von Blut und Tod und Verwandtschaft Nicholas in Angst und Schrecken versetzte.
»Wirst du uns das Geheimnis dieser Worte verraten?« fragte Matthias seinen Führer.
»Deshalb wurde ich ausgesandt«, erwiderte der Mann und grinste ihn an. »Hast du wirklich geglaubt, ich sollte dich beschützen?«
Matthias errötete, sagte aber nichts.
»Was müssen wir tun?« fragte Nicholas.
Der Führer begab sich zu den Regalen, zog eine Flasche mit dem Blut des Roca heraus und streckte sie ihnen entgegen. »Das werde ich euch gleich sagen.«
42
Rugad fühlte sich völlig ausgelaugt. Das Licht und damit auch die Bedrohung für seine Leute hatte vor einiger Zeit ausgesetzt – wie lange schon, wußte er nicht genau zu sagen.
Aber er hatte nicht vor, die schützenden Schattenlande wieder zu entfernen. Noch nicht. Nicholas war zu gerissen und sammelte wahrscheinlich gerade neue Kräfte. Mit ein wenig Glück schaffte er es, einen neuen Zauber auf Rugad loszulassen, den Rugad wiederum umformen konnte. Nicholas wußte nicht, wozu Rugad fähig war.
Alle Mächte bedienten sich gewisser Linien. Rugad mußte diesen Linien nur folgen, sie bündeln und für seine eigenen Zwecke einsetzen. Alles, was ein nicht magisch begabtes Wesen tun konnte, konnte Rugad besser.
Diese Gedanken gaben ihm die nötige Kraft. Keiner der bisherigen Feldzüge hatte ihn dermaßen erschöpft. Selbstverständlich hatte er schon körperliche Müdigkeit verspürt, aber noch nie diese geistige Entkräftung. Genau das durfte ihm nicht passieren. Er mußte die Kontrolle erlangen und fest in der Hand behalten. Die Blaue Insel war den Kampf wert. Der Ort der Macht war den Kampf wert, ganz zu schweigen von seinen Urenkeln.
Vor ihm erstreckte sich ein langgezogener Berghang voller toter Fey. Sie lagen dort, wo sie gefallen waren, überall über den Hang verteilt. Der Geruch hing noch immer in der Luft; ihr Fleisch war von innen nach außen verbrannt worden. Bei dem Gedanken lief ihm ein Schauer über den Rücken. Er hatte sich gerade noch mit letzter Kraft gerettet.
Was er wissen wollte, was er unbedingt wissen mußte, war, wie viele seiner Leute noch am Leben waren. Wie viele ihm sofort zur Verfügung standen. Dann würde er den Berg erstürmen, Nicholas töten und somit den Ort der Macht zu seiner zukünftigen Operationsbasis machen.
Keine Schamanin würde jemals einen Fuß hineinsetzen. Seine Familie war töricht genug gewesen, den Schamanen zu erlauben, den Ort der Macht in den Eccrasischen Bergen für sich in Anspruch zu nehmen. Rugad würde Nicholas’ Schamanen vertreiben und den Ort der Macht an sich reißen. Hier würde er seine Urenkel ausbilden. Hier würde er die Fey vereinen. Und von hier aus würde er seinen nächsten Kriegszug antreten, die Eroberung von Leutia.
Er plante zu weit in die Zukunft. Dabei brauchte er zunächst einen Plan für jetzt. Für seinen Sieg.
Es galt immer noch, mit Nicholas fertig zu werden, und in all den Jahren hatte sich Nicholas als Rugads ebenbürtigster Widersacher erwiesen.
Jewel hatte eine gute Wahl getroffen.
Rugad
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