Fey 10: Das Seelenglas
schwächer, als ihm lieb war.
Er wußte nicht einmal, wohin er sich flüchten konnte.
»Das meiste jedenfalls«, sagte Matthias.
»Gut«, erwiderte Nicholas. Er kam näher und legte Matthias eine Hand auf den Arm. Matthias wich zurück.
Nicholas grinste. Es war kein schöner Gesichtsausdruck. »Ich werde dich nicht gleich töten, Matthias«, sagte er, und sein Griff wurde fester. »Der Schwarze König der Fey steht vor der Höhle, und ich könnte mir denken, daß dein Haß wenigstens dieses eine Mal von Nutzen sein kann.«
»Der Schwarze König?« wiederholte Matthias benommen.
»Wenn wir mit ihm fertig werden, bekommen wir unsere Insel zurück. Dann können wir uns immer noch um unsere Meinungsverschiedenheiten kümmern.«
»Meinungsverschiedenheiten?« Matthias’ Stimme klang in seinen eigenen Ohren ganz schwach. Das war Nicholas? Der Mann, der ihm ein Messer an den Rücken gedrückt und damit gedroht hatte, ihn zu töten? Sein Haar war inzwischen graumeliert, dünne Fältchen hatten sich in sein Gesicht eingegraben, aber sonst sah er immer noch aus wie früher.
Nur hörte er sich nicht mehr so an.
»Willst du etwa meine Hilfe?« fragte Matthias, noch immer unsicher, ob er das soeben Gehörte glauben sollte.
»Siehst du hier sonst noch jemanden?«
Matthias’ Blick fiel auf den Jungen. Er schien tief in seiner Trauer versunken zu sein. Bis auf den Toten war niemand mehr zu sehen. Matthias runzelte die Stirn. Er hatte mit mehr Personen gerechnet. Zum Beispiel mit Nicholas’ Mischlingstochter.
Aber in der Höhle des Roca war niemand außer Nicholas.
Und draußen stand der Schwarze König der Fey.
»Na schön«, sagte Matthias. Was nach der Niederlage des Schwarzen Königs zu tun war, spielte jetzt keine Rolle. Falls er überhaupt zu bezwingen war. Was allein zählte, war, daß er es versuchte.
Das mußte das Schicksal sein, von dem der Führer gesprochen hatte, der Grund für sein Kommen: Er sollte mit Nicholas zusammenarbeiten.
Matthias schloß kurz die Augen. Mit Nicholas zusammenarbeiten, nachdem er Jewel ein zweites Mal getötet hatte. Er durfte es Nicholas auf keinen Fall sagen. Noch nicht.
»Bereust du es bereits?« fragte Nicholas.
»Nein.« Matthias öffnete die Augen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich helfe dir, Nicholas.«
»Gut.« Diese Stimme kam von weiter hinten. Der Führer. Matthias wußte nicht genau, was er in den vergangenen Minuten getan hatte.
Nicholas starrte ihn mit bleichen Zügen an. »Du?« sagte er verwundert.
Der Führer kam näher. Er war nicht komplett sichtbar. »Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, du wärst mich los?« sagte er und zuckte mit den Schultern.
»Kennst du ihn?« fragte Matthias.
»Ich habe ihn befreit«, sagte Nicholas. »Und zum Dank hat er mich im Stich gelassen.«
»Nein«, erwiderte der Führer. »Ich bin nur zu dem mir zugewiesenen Ort gegangen. Von dort bin ich wieder hierher zurückgeschickt worden.«
»Ich dachte, du wolltest mir helfen«, sagte Matthias.
»Ich bin gekommen, um Coulter aus seinem Stumpfsinn zu reißen.«
Nicholas sah zu dem Jungen hinüber. »Coulter?«
»Er meint den Roca«, sagte Matthias.
»Allerdings«, bestätigte der Führer, und in diesem Augenblick fiel Matthias erst auf, daß er nicht mehr die Alte Sprache sprach. »Er war überzeugt davon, die Generationen verflucht zu haben. Er behütete diesen Ort, bis er nicht mehr zu sehen war. Er schuf eine Magie, die, wenn mit der richtigen Absicht eingesetzt, Macht eher vernichtet als verstärkt. Und er vernichtete absichtlich die Zauberkraft, die wir besaßen.«
Nicholas ging einen Schritt auf den Mann zu. »Was soll das heißen?«
Matthias konnte die Intensität von Nicholas’ Frage förmlich spüren.
»Die Schwerter draußen«, sagte der Führer. »Hast du dich nicht gefragt, wie man sie am besten benutzt?«
»Natürlich«, antwortete Nicholas.
Matthias runzelte die Stirn. »Die Schwerter? Ich dachte, die Weisen hätten sie hierhergebracht.«
»Glaubst du alles, was man dir sagt?« fuhr ihn der Führer an. »Oder hat Coulter auch in dieser Hinsicht gelogen – in dem dummen Brief, den er geschrieben hat?«
»Er hat nichts davon erwähnt«, sagte Matthias.
»Welcher Brief?« wollte Nicholas wissen.
Matthias schüttelte den Kopf. Sie hatten keine Zeit für lange Erklärungen.
»Willst du wissen, wie man die Schwerter benutzt oder nicht?« fragte der Führer.
»Ja«, sagte Nicholas. »Aber das hättest du mir alles sagen können,
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