Fey 10: Das Seelenglas
die Blutergüsse an seinem Hals beinahe schwarz.
»Ich kann nicht«, flüsterte er.
»Du mußt«, sagte Nicholas.
Der Schwarze König mußte die von den fallenden Schwertern hervorgerufenen Erschütterungen wahrgenommen haben. Was er auch vorhatte, welchen Plan er auch verfolgte, er mußte jetzt wissen, daß Nicholas etwas Neues versuchte.
Der Schwarze König würde zum Gegenangriff übergehen.
»Ich kann nicht«, wiederholte Matthias.
Nicholas sah zu den Schwertern hinüber. Eines stand direkt vor dem Eingang. Die mittleren zwei waren weiter auseinander, und die ersten beiden befanden sich dort, wo sie zuvor gewesen waren, aber mit einem geringen Abstand zueinander. Die Edelsteine waren so ausgerichtet, wie es der Führer ihnen gesagt hatte.
Aber dieser Führer war wie vom Erdboden verschluckt. Nicholas hatte nach ihm Ausschau gehalten, ihn aber nirgendwo entdeckt. Ohne ihn, und ohne Matthias, konnte Nicholas nichts unternehmen.
»Du schaffst es«, sagte Nicholas. Es setzte Matthias vorsichtig auf dem Boden ab und nahm das Fläschchen mit dem Blut des Roca, das ihm der Führer gegeben hatte, in die Hand. Seinen Anweisungen folgend, goß Nicholas die Flüssigkeit über seine rechte Hand.
Das Blut war dick und schleimig. Trotzdem roch es frisch, keineswegs so, als wäre es schon fünfzig Generationen alt, sondern gerade eben erst den Adern des Roca entzogen worden.
Dann nahm er Matthias’ linke Hand und goß auch darüber Blut. Matthias verzog das Gesicht und protestierte schwach, aber Nicholas ignorierte ihn, ergriff Matthias’ linke Hand mit seiner rechten und zog ihn hoch, bis er wieder auf den Beinen stand.
Ein Prickeln durchfuhr Nicholas, wie er es noch niemals zuvor gespürt hatte. Es war kein oberflächliches Prickeln, wie wenn man in einer kalten Nacht von einem Lufthauch überrascht wird. Es war innerlich, als erwärmte sich sein Blut als Reaktion darauf. Er schaute auf seine Hand, die in der von Matthias lag, und sah, wie von ihr ein Lichtschimmer ausging. Das Licht tropfte, genau wie Blut, in den Stein zu ihren Füßen und färbte ihn rot.
So rot wie den Berg.
Auch Matthias sah gebannt zu. Seine Erschöpfung schien vergessen. Sein Blick suchte den von Nicholas. »Ich werde stärker«, sagte er.
»Ich weiß.« Es war, als flösse etwas von Nicholas durch die miteinander verbundenen Hände zu Matthias hinüber, als hätte ihr gemeinsames Blut eine Verbindung gefunden, durch die Nicholas Matthias Kraft übertragen konnte.
»Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte Nicholas.
Matthias nickte, streckte die rechte Hand aus, und aus seinen Fingerspitzen züngelten Flammen. »Ich hoffe nur, es funktioniert«, sagte er und wölbte die Hand, als hielte er einen Ball. Die Flammen aus seinen Fingern verbanden sich zu einem länglichen Strom. Sie trafen das schwarze Juwel auf dem Griff des ersten Schwertes und flossen durch es hindurch. Das Juwel schien die Kraft der Flamme zu verdoppeln, teilte den Strom in zwei Hälften und sandte sie jeweils zu den Juwelen in den Griffen der nächsten beiden Schwerter.
Auch sie verdoppelten wiederum die Intensität der Flammen und schickten sie zu den verbliebenen beiden Schwertern. Die Flammenströme wurden abermals stärker, bis sie so dick wie der Oberkörper eines Mannes waren. Vor den letzten beiden Schwertern kamen sie wieder zusammen und fingen an, einen Bogen zu bilden, der sich über den Berghang hinunter erstreckte.
»Du sollst zielen!« keuchte Matthias.
Zielen! Als wüßte Nicholas, wie. Aber der Führer hatte gesagt, zwischen ihm und Matthias würde Macht fließen, also holte er alles aus dem Prickeln heraus, was er konnte, und dachte nur an den Schwarzen König, an Rugad, an sein zerfurchtes, arrogantes Falkengesicht, seine kräftige, herrische Stimme, an seinen von neun Jahrzehnten ungebeugten Körper.
Nicholas dachte an ihn, ausschließlich an ihn, während er zusah, wie sich der Flammenstrom, der jetzt dick wie eine Steinsäule war, die Bergflanke hinabkrümmte.
Das Prickeln durchlief ihn jetzt mit größerer Geschwindigkeit. Ihm wurde wärmer, und endlich begriff er, was Matthias mit Erschöpfung gemeint hatte. Es war, als würde er von innen aufgesaugt. Dabei blieb ihm keine Wahl, aber wenn es nicht bald aufhörte, würde nichts mehr von ihm übrig sein.
Matthias sah ihn entschlossen an. »Wir halten durch, solange es geht«, sagte er, und Nicholas wußte nicht, ob Matthias mit seiner, Nicholas’, Kraft sprach, oder ob ihm einfach wieder
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